Dienstag, November 30, 2004

Advent

Das Haus und die Wohnung sind geschmückt, der Adventkranz ist gelungen (und wie üblich wieder kein Kranz) und vielleicht steht heuer erstmals ab achtem Dezember der Christbaum aufgeputzt an seinem üblichen Ort im kleinen Wohnzimmer. Doch der schönste Weihnachtsschmuck ist Carhus Halsband (Carhu ist meine Malamut-Hündin). Ihr spezielles Halsband ist aus rotem Stoff und trägt einige Schellen (je nachdem wieviele sie gerade verloren hat). Egal, wann wir nun spazieren gehen, ich weiß immer wo Carhu gerade ist und das melodiös weihnachtliche Klingen der Schellen begleitet mich auf allen Wegen. Vor allem ihr federnder, leichtfüßiger Trab und den bevorzugt sie von allen Gangarten, bringt die Schellen schön regelmäßig zum klingen. So stelle ich mir die Geräuschkulisse zum rentiergezogenen Schlitten des Weihnachtsmannes vor. Obwohl - ich bin doch ein Christkindfan!
Was soll's - kling, kling, kling, kling - so tönt es, wenn wir unterwegs sind und bei den meisten Leuten zaubert es ein Lächeln in ihr Gesicht.
Heute zog wieder der Nebel dicht und triefend über das Land. So voller Feuchtigkeit, daß es im Wald beständig von den Ästen der Bäume tropfte, als ob es regnete. Und was war noch schöner, als dieser alles einhüllende Nebel? Als zusätzlich die Abenddämmerung einsetzte. Noch weniger Licht, noch mehr grau, noch weniger Farben und noch mehr schemenhafte Umrisse. Das ist für mich die Gegenwelt zu den lärmenden, leuchtenden, blinkenden Einkaufsstraßen. Da draußen im Wald ist für mich der Advent noch die stille Zeit, die stille und besinnliche Zeit des Wartens, der Erwartens. Für Christen ist es das Warten auf die Geburt des Heilands, für andere die Wintersonnenwende, die mit der längsten Nacht vorallem das Ende der immer mehr zugenommenen Finsternis einläutet.

Montag, November 29, 2004

Wolfsbuch

Nun habe ich es doch zu Ende gelesen und es ist mir gar nicht schwer gefallen. Und das schreibe ich über ein Buch, das über Wölfe geschrieben wurde. Der Anfang, also nicht nur die ersten paar Seiten, sondern die ersten hundertundfünfzig Seiten hätte ich mir und der Autor uns allen ersparen können. Doch dann verändert sich das Buch von Grund auf. Wahrscheinlich liegt es daran, daß der Autor plötzlich wirklich etwas zu berichten hat. Auf den Seiten davor wurde ja aus einer Beobachtungswoche gleich eine "Wolfsforschung des Jahres soundso". Und wenn man nichts zu berichten hat, ist es schwer darüber zu schreiben. Genau das verändert sich im zweiten Teil des Buches. Da hat er nicht nur etwas, sondern da hat er viel zu berichten. Das liest sich gleich viel besser und nun, da es vorüber ist, finde ich es schade, daß ich nicht mehr am Leben der Wölfe teilhaben kann. Denn beim Lesen tauche ich wirklich in diese andere Welt ein, erlebe mit und fühle mich verbunden (darum kann ich ja auch nicht zu viel auf einmal lesen - das Leben (das Erleben) braucht Zeit!). Ist das Buch zu Ende, tauche ich wieder auf und muß manchmal enttäuscht feststellen, daß meine Realität ganz anders ausschaut. Nicht, daß ich aus meinem Leben flüchte, dazu finde ich es viel zu schön. Nein, gute Bücher sind einfach Erweiterungen, die sich mir eröffnen und es wäre ja eigenartig, wenn ich sie nicht nutzen würde. Und für diese Eintauchen hat mir der zweite Teil die Möglichkeit geboten, denn er war in den Beschreibungen interessant und hat mir die Wölfe vermitteln können. Nun liegt mir aber meine überaus schlechte Kritik, die ich geschrieben habe, im Magen. Doch ändern kann ich die leider nicht mehr.
Ich versuche in meinem Leben Negatives zu vermeiden und bin bei diesem Wolfsbuch in die Falle getappt, habe mich hinreißen lassen und was habe ich jetzt davon? War es wirklich notwendig jemanden, der sich für Wölfe einsetzt und darüber ein Buch schreibt so schlecht zu kritisieren? Wäre es nicht besser gewesen zu schweigen?
Schweigen und nachdenken. Und nachdenken und besser machen oder zumindest die zu unterstützen, von denen man glaubt, daß sie es besser machen. So verteile ich ja auch meine Spenden auf die diversen Naturschutz- und Menschenrechtsorganisationen, deren Aktionen ich vertreten kann, die meiner Meinung nach die richtigen Prioritäten setzen.
Es gibt ja so viel zu tun, zu bewirken, daß kein Ansatz wirklich schlecht sein kann. Vielleicht zeigt erst die Zeit, was gut und sinnvoll war und wo andererseits leere Kilometer gegangen wurden.

Sonntag, November 28, 2004

Leute

Es ist Sonntag, für Ende November ein sehr milder Sonntag, dazu ist es der erste Adventsonntag und wie immer ist es auch ein Sonntag in der direkten Umgebung einer Millionenstadt. Ich gehe gerne mit meinem Hund spazieren, aber an solchen Sonntagen verleidet mir die Anwesenheit unzähliger, überzähliger anderer "Sonntagsspaziergänger" das draußen sein. Egal welchen Weg ich einschlage, auf welchen Pfad ich mich zurückziehe, andere Spaziergänger, mit und ohne Hund, sind schon da. Meist in Gruppen, gehen sie dahin, in gar nicht leise Gespräche vertieft, mit sich selbst beschäftigt und ich frage mich, was diese Menschen von der sie umgebenden Natur mitbekommen. Eine Art Naturtapete mit frischer Luft.
Ich biege ab, mache kehrt, warte ab und manchmal zu.
Sie werden wieder verschwinden, dann wird es wieder ruhig. Und doch ist es eigentlich verwunderlich, wie wenige es wirklich sind. Für ein Großstadtumfeld könnten es ja viel, viel mehr sein. Zum Glück bleiben die meisten Menschen lieber in der Stadt, oder zumindestens in Häusern, Lokalen, Einkaufszentren und Autos, vor Spielkonsolen, Fernsehapparaten und Filmleinwänden.

Samstag, November 27, 2004

Am großen Fluß

Entlang des Flusses zu spazieren, das still vor sich hin ziehende Wasser, dieser Widerspruch der ruhenden Bewegung oder besser, der sich bewegenden Ruhe, teilweise gesäumt von Weiden, Pappeln und verschiedenen kleineren Büschen und dazu die Wasservögel, die man sonst nicht zu sehen bekommt, das alles bildet für mich eine eigene Welt, die ich immer gerne aufgesucht habe. Am Anfang habe ich es einfach als praktisch empfunden, den Damm zu beiden Seiten des Flusses, denn am Dammfuß und auf der Dammkrone gibt es einen Treppelweg, auf denen man so herrlich den Flußwindungen folgen kann. Vermißt habe ich zuerst nur am Ufer, die flachen Schotterbänke, dann tat es mir Leid, daß der Auwald hinter dem Damm keinerlei Verbindung zum Fluß hat und irgendwann ist mir dann der ganze Damm, der den Fluß so einengt, unangenehm aufgefallen. Das ist gar kein Fluß, was mir anfänglich so gefallen hat, ist ein toter Kanal. Mit einem lebendigen Flußsystem hat diese Rinne nichts mehr zu tun. Und was ich am Anfang als so schön empfunden habe, deprimiert mich nun jedesmal wieder.
Der Fluß ist nur mehr eine Wasserstraße und was will man von Straßen erwarten? Nichts. Man meidet sie besser.
Noch dazu erzählten mir einmal ältere Leute, daß sie in den fünfziger Jahren die Verbauung, die Eindämmung miterlebt hatten. Ich ließ mir schildern, wie es davor gewesen war. Flache Übergangszonen mit herrlichen Schotterbänken, der Auwald reichte bis ans Ufer und war durch zahlreiche Nebenarme mit dem Fluß verbunden und überhaupt gab es keine geradlinige Uferlinie so wie heute.
Und da war es wieder - wieder ein Stück wertvoller Natur, die dem Fortschritt geopfert worden war. Es gibt einige Beispiele, dieser absurden Zerstörung, die ich selbst miterlebt habe und wenn ich erfahre, in welch kurzer Zeit das alles geschehen ist, wieviel Naturraum willkürlich vernichtet worden ist, trifft es mich jedesmal wie ein Schlag und läßt mich benommen zurück. Was haben unsere Vorfahren nur alles eingetauscht für den Zweit-, Dritt-, Viertfernseher, das größere Auto, den stärkeren Rasenmäher, die neueren Kleider, die ausgefeiltere Stereoanlage, die Waschmaschine, den Trockner, das siebenundvierzigste Heimwerkergerät, die müheloseren Skiabfahrten, die bequemeren Rolltreppen, die spektakuläreren Seilbahnen und Lifte...
Und doch, stehe ich hier am Ufer der Donau und lasse Wasser und Zeit an mir vorüberziehen, entsinne ich mich eines anderen großen Flusses und der Benommenheit, der staunenden Fassungslosigkeit die mich ergriffen hatte, als ich von der Burg Stahleck über Bacharach, ins Rheintal blickte - zu beiden Seiten Straßen, zu beiden Seiten Eisenbahntrassen, am Fluß ein Schiff nach dem anderen, Ansiedlungen, Weingärten über Weingärten - und die Natur, wo war die geblieben?

Freitag, November 26, 2004

Sinnlos

Der Tag war "sinnlos" - zumindest der Natur gegenüber. Ich hatte einfach keine wachen, offenen Sinne für all die Geschehnisse meiner natürlichen Umgebung. Nur kurz am Abend, im Stau auf einer Brücke, fiel mir der wunderschöne Kontrast zwischen dem frischen, hellblauen Himmel und den orange-dottergelben Wolkenstreifen auf. Und sie waren nur dort so gefärbt, wo die Sonne gerade untergegangen war. Weiter im Nordwesten, oder auch im Osten hatten die Wölkenschleier eine matt-rosa Farbe, die sich mit dem erwähnten Blau des Abendhimmels nicht so gut ergänzte.
Dazu muß ich erwähnen, daß meine Lieblingsfarben blau und gelb sind. Blau bestimmte meine ganze Jugend. So mußten wir im Gymnasium in Darstellender Geometrie die gezeichneten geometrischen Körper färben und ich habe dazu nur unterschiedliche Blautöne verwendet, was meinen Lehrer zu einem Vergleich mit der "blauen Phase Picassos" veranlaßte. Ich hatte damals keine Ahnung wovon er sprach. Auch gefällt mir dunkelblau eigentlich besser, obwohl ich viel schwarz trage, ich fühle mich wohler in dunkelblau, da die Farbe nicht so eine harte Kontrastwirkung hat (und vielleicht auch besser mit meinen dunkelbraunen Haaren harmoniert).
Seit einigen Jahren bevorzuge ich nun die zu blau als Komplementärfarbe geltende "heilige" Farbe gelb. Vorallem die intensiven Töne, wie dotter- und safrangelb. Das Pendel muß nun wohl auf die andere Seite ausgeschlagen haben. Die veränderte Vorliebe erstreckt sich auch auf Orangetöne und geht bis zu den intensiven, dunklen Rotschattierungen. Im Buddhismus sind sie alle heilig. Ob Tibeter oder Burmese (der Staat heißt ja jetzt Myanmar - doch wie nennt man seine Einwohner?)
Na ja, zurück zum Abendhimmel. Für ein paar kurze Augenblicke genoß ich diesen "himmlischen" Anblick (schade, daß wir keine Unterscheidung zwischen "heaven" und "sky" machen), dann riß mich der alltägliche Freitagabendstrudel weiter.

Donnerstag, November 25, 2004

Frost

Letzte Nacht sank die Temperatur deutlich unter den Gefrierpunkt. Auch diese Nacht wird sie es wieder tun, denn der Himmel ist wolkenfrei und sternenklar - überdies hell erleuchtet vom nun fast vollen Mond, doch das hat damit nichts zu tun. Nirgendwo zieht schützender Nebel auf, nur kaltes Licht überflutet die ruhig gewordene Gegend. Der kleine Teich trug am Morgen erstmals wieder eine dünne, zerbrechliche Eisdecke und für den Wein und den Blauregen war das nun das endgültige Zeichen sich auf den nahenden Winter einzurichten und die letzten verbliebenen Blätter abzuwerfen. Nur mehr die kahlen Zweige und Ranken umrahmen noch die Fenster und Türen.
Es ist immer wieder faszinierend wann welche Pflanzen Abschied nehmen und sich in sich selbst zurückziehen. Wenn im späten August die ersten Blätter gelb werden, kann ich es nie wirklich glauben, daß die Zeit des Wachsens, des Zulegens, des Gedeihens schon wieder vorüber ist. Für sie hat es sich schon entschieden, ob das Jahr gnädig und gut oder anstrengend und karg geworden ist. Still und vorerst unmerklich schließen die Pflanzen ihr äußeres Leben ab. Werden die Blätter erst gelb oder rot, ist schon längst alles vorbei. Manche orientieren sich an der abnehmenden Wärme, andere an den kürzer werdenden Tagen; vielleicht spielt auch der Wasserhaushalt des Bodens mit, jedenfalls brauchen ein paar wenige den Frost.
Letztlich fällt er auch nur in die Kategorie "abgenommene Wärme", stark abgenommene Wärme natürlich, doch nur wenige Pflanzen reagieren so direkt auf ihn. Die meisten einheimischen Pflanzen ertragen ihn nur, können ihm in ihren inneren Leben trotzen und überdauern sein Einwirken. Außer er wird zu fordernd, dann zwingt er sich mit Gewalt in ihre Zurückgezogenheit und Sprünge und Risse zeugen von seinem Wirken.
Doch so schlimm wird es noch lange nicht sein. Die wärmende Sonne hat unter Tags die gefrorene Erde wieder aufgeweicht, doch an schattigen Stellen bleibt der weiße Reif den ganzen Tag liegen. Als Bruder des Schnees wird er nicht wirklich ernst genommen. Und doch tritt er als Schöngeist immer wieder wunderbar in unser Leben. Von ihm überzogene Pflanzen und Gegenstände erscheinen im neuen Lichte, doch ist seine Kunst meist viel zu vergänglich, viel zu filigran um von vielen Menschen bemerkt zu werden.

Mittwoch, November 24, 2004

Futterhäuschen

Heute war wieder ein Paar Haubenmeisen am Futterhäuschen. Ihre eigenartigen Laute haben mich auf sie aufmerksam gemacht - dem der Kohl- und Blaumeisen ähnlich, aber doch ganz eigen. Sie sehen übrigens den Kohlmeisen auch sehr ähnlich - das Brustgefieder gelb, die Flügeldecken braun, nur alles verwaschener, vergilbter, als ob die Haubenmeisen ihr Gefieder länger tragen würden. Doch wegen ihrer längeren Federn auf ihren Köpfen, die wie eine Spitzmütze aussehen, so à la Robin Hood, sind sie leicht erkennbar.
Mit ihnen habe ich auch meine Aufzeichnungen welche Vogelarten sich an meinem Futterhäuschen einfinden begonnen.
"Haubenmeisen, 11. Dezember 2001".
Ich notiere mir mittlerweile nicht mehr den Tag, sondern halte nur mehr das Erscheinen je Wintersaison fest. Und da kenne ich jetzt so eine Art Stammgruppe, die jeden Winter beständig am Futterhäuschen erscheint - meist in größerer Anzahl und immer lautstark die Grünfinken, vermischt mit einigen Distelfinken, die gerne von dem einen oder anderen Kernbeißer begleitet werden; wenn es dann wieder ruhiger geworden ist, immer wieder einige Kohl- und Blaumeisen, die sich immer nur Samenkern für Samenkern holen und sofort wieder auf die kahlen Zweige der nahen Sträucher fliegen (oder fliehen), dazwischen ein paar wenige Spatzen und je nach Kälte Amseln, obwohl die lieber unter dem Futterhäuschen, am Boden die hinuntergefallenen Sonnenblumenkerne aufpicken.
Die Palette der selteneren Gäste reicht vom großen Grünspecht bis hinunter zu den mich am meisten faszinierenden Schwanzmeisen. Die gehören gar nicht zur Gruppe der Meisen, sind eine der kleinsten europäischen Vogelarten und laut Bestimmungsbuch nur um die 8, 9 Gramm schwer. Gramm! Und schwer kann man da wirklich nicht mehr schreiben - 8, 9 Gramm leicht - und fliegen, selbst bei starkem Wind. Nur aufgrund ihrer extra langen Schwanzfedern wirken sie größer, ihre Körper sind winzig und beinhalten doch alles was sie zum Leben brauchen - ein winziges Herz, eine kleine Lunge, Adern, die für mich nicht mehr vorstellbar sind, ein Gehirn, Nervenbahnen, einfach alles. Und dazu die Fähigkeit Wind und Wetter, Kälte und Sturm trotzen zu können. Dabei schauen diese überwiegend weißlich-beige gefärbten Vögel so filigran aus, daß man Angst haben muß, daß sie sich bei einer Kollision mit einer Schneeflocke etwas tun könnten.

Dienstag, November 23, 2004

Ergehen

Der Himmel ist bedeckt, dämpft das Licht, gelegentlich fällt ein bißchen Regen, die Stimmung ist gedrückt. Wohin ich auch gehe, nirgends begegnet mir Leben, der Wald erscheint ausgestorben. Wo sind die Tiere hin? Nicht einmal Krähen lassen sich blicken und die sind sonst überhaupt nicht scheu. In einem Teil des Waldes wüten Forstarbeiter mit ihren großen "Erntemaschinen", fällen Bäume, machen einen schrecklichen Lärm (die fallenden Bäume krachen laut auf den Boden), wühlen mit den Schleppern die Erde auf (für diese Arbeit ist es zu warm denn der Boden ist naß, weich und matschig und trägt nicht), betreiben moderne Forstwirtschaft - gut, daß ich nicht mehr auf ihrer Seite stehe. Melancholisch schlage ich die entgegengesetzte Richtung ein (so wie im Leben).
Der Weg führt mich zu meinem "Langhaus". Es ist nur eine Stelle im Wald, kein Gebäude, aber ich bezeichne diesen Ort so, weil der Schnee des letzten Winters ein paar junge dünne Bäum so gebogen hat, daß sie wie das Gerippe eines Tunnelzeltes übereinander liegen und darunter einen etwa mannshohen Raum bilden. Langhäuser gibt es bei indigenen Völkern aber meine Affinität dazu und das warum und wie sind eine andere Geschichte. Jedenfalls setze ich mich dort gerne auf einen am Boden liegenden Ast und verweile, schließe die Augen und versuche den mich umgebenden Wald einmal mit meinen anderen Sinnen wahrzunehmen - den Wind in den Bäumen, die Geräusche der Blätter, die Laute der Tiere, die verschiedenen Gerüche, die Tages- und Jahreszeit...

Gehe ich auf meinen Spaziergängen durch den Wienerwald so sammle ich Naturerfahrungen. Ich erfahre also obwohl ich gehe. Es müßten also eigentlich Ergehungen sein, nur wenn ich mich in Naturerlebnissen ergehe, oder gar Naturerlebnisse über mich ergehen lasse, sind das wieder ganz andere Erfahrungen.
Gibt es Erfahrungen erst seit der Mensch gelernt hat zu fahren und wenn, was hat er dann vorher gemacht, erlebt? Oder gab es die Erfahrungen schon immer und warum ist dann die Bezeichnung für erleben und fortbewegen die selbe?
Aber das führt mich zu weit von meinem Thema weg.
Es geht darum, wie wir unsere Umwelt, oder genauer Natur erleben.
Meistens bewegen wir uns, wir wandern, wir fahren Rad, wir laufen, wir klettern, usw. Doch durch unsere Bewegung entgeht uns (eigenartigerweise entfährt uns nichts) allerlei. Tiere meiden normalerweise Menschen in Bewegung und um behutsame Veränderungen der Umwelt zu bemerken, sind wir selbst wenn wir gehen zu schnell. Unsere Bewegung stellt eine Beunruhigung dar.
Ganz anders ist es, wenn wir verweilen, wenn sich die Ruhe wieder einstellt. Dann nähern sich uns auch Tiere an, die man/frau sonst nicht zu sehen bekommen hätte. Aber dazu braucht man/frau Geduld, denn es dauert schon ein Weilchen bis die Störung verebbt und Tiere wieder Zutrauen fassen.
So kam ich einmal früher als gedacht von einer Bergtour wieder ins Tal, zum Treffpunkt wo ich abgeholt werden sollte. Ich legte mich am Waldrand in eine Wiese, schrieb meine Bergerlebnisse nieder, die Sonne schien, die Luft war warm und so nach und nach kamen Vögel näher, eine vorlaute Kohlmeise auf meinen Rucksack, ein seltener Schwarzspecht zwei Bäume weiter, dann fand ein Marienkäfer meine Aufzeichnungen sehr interessant, vom Berg hörte ich einen Raben und im Tal muhten die Kühe. Ich fühlte mich als Teil des Ganzen, war sozusagen aufgegangen, oder treffender eingegangen in diesen Flecken Erde.

Montag, November 22, 2004

Vergeudete Zeit

Der Wecker läutet. Termine stehen an. Das Wetter hilft nicht - Schneeregen. Die Fahrt ist mühsam, schlechte Sicht, zu viele Autos. Dann macht das eigene Probleme. Noch funktioniert es. Die Adresse ist neu, der Weg unbekannt. Ich suche, fahre im Kreis. Der Termin ist kurz weil enttäuschend. Das hätte man auch über Telefon oder Internet erledigen können. Jetzt sind die Termine nicht dicht genug. Sinnloses Warten und die Zeit steht. Das Auto funktioniert wieder normal, das Wetter wird besser. Der dritte Termin fällt ins Wasser, niemand da, unnötig die Fahrt. Umplanen. Das Essen wird zu Jause. Ab auf die Autobahn. Verrückte mit Radarblick und das eigene Auto macht wieder Mucken. Da stimmt also doch etwas nicht. Das war's. Es dämmert schon wieder. Irgendwie hat doch alles länger gedauert als geplant. Wiedersehen mit der Werkstätte. Das Auto bleibt dort. Es ist dunkel und die Runde mit dem Hund steht noch an.
Das war der Tag? Kein Lichtblick?
Doch, auf einem schneeweißen Feld sah ich fünf Rehe.

Sonntag, November 21, 2004

Einträge

Anfang November:
Aus dem Glashaus hole ich sämtliche, nur irgendwo rote Tomaten ins Haus und lege sie in der Küche zu den reifen dazu - die werden schon noch. So spät habe ich noch nie welche geerntet; das ist schön und bestätigt meine Geduld. Auch will ich die Kübelpflanzen noch nicht einwintern, die Tage sind noch zu warm und schön dafür.
Einen Tag später:
Es schneit; heuer das erste Mal. Große, schwere Flocken, die liegen bleiben und schon bald eine ein paar Zentimeter dicke weiße Decke über alles legen. Das Schilf und die Oleander biegt die Last zu Boden. Ich schüttle den Schnee lieber ab, sonst brechen sie noch. Vor allem um die Oleander wäre es schade, sind sie doch heuer so schön nachgewachsen.
Zwei Wochen darauf:
Die warmen Tage haben das Gras doch noch so viel wachsen lassen, daß ich wider erwarten, den Rasenmäher noch einmal starte. Dieses Mal hoffentlich für heuer wirklich das letzte Mal. Das Gras vermischt sich mit dem abgefallenen Laub und es sind doch einige Boxen voll die ich am Komposthaufen entleere. Jetzt schaut der Garten wieder sauber und geputzt aus - das ist eigentlich nicht meine Vorstellung, doch diese eine Nutzfläche bearbeite ich "klassisch".
Eine Woche später:
Es schneit wieder, so wie angekündigt. Doch für die kommenden Tage sind leider steigende Temperaturen vorhergesagt, also wird auch der Schnee nicht liegen bleiben. Am Vortag habe ich die Futterhäuschen für die Singvögel montiert und schon etwas Futter reingekippt. Sie sollen wissen, wo sie später, wenn es richtig kalt geworden ist, etwas zu futtern finden. Ich beobachte sie gerne und manchmal kommen sogar seltene Gäste.

Samstag, November 20, 2004

Die Hütte

Ich weiß nicht, was der Ofen hat. Er ist voller Asche und und so sehr ich auch rüttle, der Haufen wird nicht kleiner. Er muß aber weg, damit ich ein neues Feuer entzünden kann. Ich helfe mit einem Span nach, stochere und kratze, aber so wie ich es gerne hätte wird es nicht. Es sollte reichen, hoffe ich. Zerknülltes Zeitungspapier, darüber harzige Kiefernspäne und vorsichtig zwei kleine Buchenscheite. Bei anderen Öfen bringe ich damit immer in kürzester Zeit ein schönes Feuer zustande. Das Zündholz flammt auf, entzündet das Papier - es brennt, nur der Rauch bleibt nicht im Ofen, zieht nicht durch den Kamin ab, sondern qualmt in die Hütte.
In der Hütte ist es ohnedies kalt. Ich habe meine Jacke noch gar nicht ausgezogen und jetzt muß ich auch noch Fenster und Türen aufreißen, um den Rauch doch ins Freie zu bringen.
Der Ofen zieht nicht richtig. Ich habe wohl doch zu viel Asche drinnen gelassen. So kann von unten nicht genug Luft nachströmen, um das Feuer auflodern zu lassen. Es glost und qualmt. Ich zerknülle noch etwas Papier zünde auch das an und halte es in den Kamin. Vielleicht kann ich so die Luftzirkulation "anwerfen".
Es klappt. Das Feuer brennt, der Rauch ist draußen, Fenster und Türen sind wieder geschlossen und das Knistern und Knacken des brennenden Holzes und natürlich der rotgelbe Feuerschein lassen eine erste Gemütlichkeit aufkommen.
Über das Wochenende wird mich die Hütte beherbergen. Es ist alles da was man braucht. Ein Sofa, auf dem ich schlafen werde, einen Ofen, der mich wärmen wird, draußen ist ein Brunnen, wo ich mir Wasser holen kann und, um die Romantik nicht überborden zu lassen, Strom für den Herd und die Beleuchtung gibt es auch.
Später, als ich es mir wirklich gemütlich gemacht habe, das Tageslicht ist schon zur Neige gegangen und ich lese in einem Buch, kommt ein heftiger Wind auf und die kleine Holzhütte ächzt und knarrt. Jede Böe spürt man in der kleinen Hütte und ich freue mich zwar drinnen sein zu können, aber nicht so komplett die Verbindung zu draußen verloren zu haben. So lege ich das Buch zur Seite und lausche dem Wind.
Wieviel Wohnung, wieviel Haus braucht ein Mensch wirklich? Und ist es erstrebenswert sich mit Hilfe all der baulichen und technischen Möglichkeiten komplett von seiner Umwelt, von der Tages- und Nachtzeit, vom Wetter, von der Jahreszeit abzutrennen?

Freitag, November 19, 2004

Versuch

Heute versuche ich nur etwas zu schreiben, denn ein Vorfall in meinem persönlichen Umfeld hat mich tief getroffen und ob mir das Schreiben hilft, oder mir zuviel wird, werde ich erst sehen.
Dabei war der Tag schön. Nicht im klassischen Sinne, so mit Wärme und Sonnenschein; aber für mich, mit grauer Wolkendecke, Sturm und Schneegestöber - und ich mitten drin. Was schreibe ich von Wolkendecke? Es waren keine Wolken zu erkennen, nur ein diffuser hellgrauer, oder doch mehr schmutzig weißer Himmel. Ein blasses Nichts, ohne Anfang, ohne Ende, ohne Ränder, ohne Tiefen. Und selbst unter Himmel stellt man/frau sich etwas zu Konkretes vor - einen Himmel, offen und weit, aber heute war er zu und eng, dort oben gab es nicht, nur hier herunten. Als es finster wurde, lag es nicht am hereinbrechenden Abend - dort oben war es nicht mehr hell, dafür wurde es immer grauer. Und plötzlich fielen sie über die Bäume und Sträucher, über die Häuser und Straßen herein. Viele, viele, vom Wind vor sich her getriebene Schneeflocken - kalt und weiß und ohne Ende, mal jagten sie waagrecht über die Erde, dann drehten sich unzählige in Wirbeln, schienen gar aufzusteigen, um gleich darauf wieder ruhig auf den Boden zu gleiten, doch der nächste Windstoß trieb sie weiter.
Sie fielen und fielen und fielen und als ich aufschaute, waren sie gar nicht mehr weiß sondern schwarz, wie verbrannte Papierstückchen die ein Windhauch verträgt. Und darüber, dahinter, jenseits der fehlfarbenen Schneeflocken bekam der Himmel plötzlich Struktur, erkannte ich feine graue Adern die sich bewegten, ineinander flossen, Wölkchen und Wolken bildeten, sich wieder auflösten, verschwammen und wieder gruppierten. Es gab keinen Zweifel, da floß Marmor über den Himmel. So muß er ausgesehen haben, bevor er erstarrte. Ein schöner weicher Grundton, hellbeige, sehr dezent und fein eingearbeitet schüchtern graue Wolken, Adern, Züge, Flecken.

Donnerstag, November 18, 2004

Geschwindigkeit

Vorneweg ein Zitat, heute im Radio gehört: "Wenn ich mit dem Motorrad unterwegs bin, fühle ich mich eins mit mir selbst". Erst durch den Gebrauch einer Maschine, um das tun zu können, wozu man/frau sonst nicht fähig wäre (und biologisch gar nicht dafür "gebaut" ist) spürt die Person Erfüllung. Ein Rollstuhl ist auch eine Maschine, die es den Benutzern ermöglicht, Dinge zu tun, wozu sie sonst nicht fähig wären - doch die habe ich noch nie sagen gehört "Wenn ich im Rollstuhl sitze, fühle ich mich erst eins mit mir selbst".
Vielleicht weil jede/r der/die das hörte, sofort dächte "das ist absurd". Warum nur beim Rollstuhl und nicht beim Motorrad?
Der menschliche Körper zeichnet sich doch durch seine vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten aus - liegen, sitzen, gehen, laufen, springen, klettern, tanzen sogar schwimmen. Da fühlen wir uns nicht im Einklang mit uns selbst - aber wenn wir eine Maschine, also eine Krücke verwenden schon? Was ist da absurd?

Ich fahre gerne mit dem Rad, doch wenn ich daran denke was ich von der Landschaft mitbekommen habe, welche Eindrücke Zeit hatten von meinen Sinnen wahr- und aufgenommen zu werden, dann ist mir schon das Rad zu schnell. Die Landschaft verwischt, die Umwelt huscht vorbei , Begebenheiten werden flüchtig und STOP
denn das ist das Stichwort - flüchtig.
Flüchtig, flüchten, Flucht.
Schnell sind wir Menschen ursprünglich, wenn wir vor etwas flüchten, wenn wir davonlaufen, vor etwas weglaufen. Je schneller, desto bedrohlicher die Situation, desto größer die Gefahr. Sind heutige Rennfahrer Menschen mit der meisten Angst, weil sie ja am schnellsten sind, das heißt am schnellsten flüchten können?
Doch wovor flüchten denn alle so gerne? Etwa vor der Zeit und ihren immer stärker sicht- und spürbar werdenden negativen Erscheinungen und Entwicklungen?

Da ist mir ein Yogi verständlicher, der sich auf seinen Körper und damit wirklich auf sich selbst zurückzieht, ob durch seine Asanas oder durch die Meditation.

Noch ein kurzer Aspekt zur Geschwindigkeit mit der wir uns auf Motorrädern, in Autos, Zügen oder Flugzeugen fortbewegen:
ab etwa 75 km/h Windgeschwindigkeit spricht der Meteorologe von "Sturm",
ab 120 km/h Windgeschwindigkeit von "Orkan"

Mittwoch, November 17, 2004

Bücher

Gestern habe ich wieder einmal Post bekommen, spezielle Post. Es war eine Büchersendung. Zwei Naturbücher, die ich mir vor ein paar Tagen bestellt habe. Beide über den Raben - "Mind of the Raven" und "Ravens in Winter". Ich freue mich darüber und schon so darauf, denn Bücher über Raben oder Krähen suche ich schon lange und gerade die sind mir jetzt eigentlich zufällig empfohlen worden. (Aber wer an Zufälle glaubt, ist selber Schuld).
Als kleiner Junge hatte ich einmal ein außergewöhnliches Erlebnis mit einem Raben. Dort wo ich aufgewachsen bin, gab es keine Raben, doch eines Tages erschien einer in unserem Garten und zeigte keine Scheu vor mir. Ich wollte ihn mit Vogelfutter füttern, hockte mich hin, begab mich also etwa auf seine Höhe, was bei meiner damaligen Größe nicht schwer war und tatsächlich kam der schwarze Vogel näher, pickte am Futter, doch mir dann mitten auf die Stirn und sein großer, harter Schnabel tat ziemlich weh. Ich war entsetzt und wich zurück und nach einigen Hopsern flog der Rabe davon, ohne jemals wieder aufzutauchen. Kurz, schmerzvoll, aber beeindruckend.
Noch etwas verbindet mich mit Raben. In der zweiten Klasse der Volksschule schrieb ich in einer Schilderung von einem Kolkraben. Die Lehrerin strich das Wort als Schreibfehler an und verbesserte es auf Kohlraben. Es war ein schönes Gefühl schon mehr über die Natur zu wissen, na ja, zumindest den richtigen Namen des Vogels zu kennen, als die von mir nicht gerade geliebte Lehrerin. Aber was soll's - heute weiß ich leider noch immer kaum mehr, als den Namen.
Um diese Lücken zu füllen kaufe ich mir Bücher.
Ich liebe Bücher, denn sie eröffnen mir immer neue Welten und in die tauche ich gerne ein. Dazu brauche ich dann meine Ruhe, meine innere Ruhe - ich kann an verschiedensten Orten lesen, das Umfeld ist gar nicht so wichtig. Doch wenn ich meine Ruhe habe, betrete ich wirklich eine andere Welt. So kann ich auch nicht schnell lesen, oder all zu lange, denn das was ich lese will ich aufnehmen und empfinden und mich dann damit beschäftigen.
Ach ja, und heute habe ich mir endlich "Walden" von Henry Thoreau (die deutsche Ausgabe) gekauft. Die originale habe ich ja schon lange, aber über "A Week on the Concord and Merrimack Rivers" und "Civil Disobedience" bin ich nicht hinausgekommen. Vielleicht hätte ich doch mit "Walden" beginnen sollen. Aber sein English ist mir zu alt, zu schwer, voller lokalgeschichtlicher Anspielungen, die ich nicht mitbekomme oder verstehe. Obwohl, in "A Week..." habe ich einen wunderschönen Satz gelesen, bei dem es mir den Atem verschlagen hat, ob des Gedankenganges:
"It required some rudeness to disturb with our boat the mirror-like surface of the water". Eine spiegelglatte Wasseroberfläche ist für ihn so schön, daß er es als Grobheit empfindet, diese Zustand, diese Erscheinung nur zu stören. Da fühle ich mich selbst so grobschlächtig, da mir die Störung der Vollkommenheit solcher Wunder, die mit meinem Erscheinen einfach verbunden ist, bisher nicht aufgefallen ist.

P.S: Erwähnen wollte ich eigentlich nur, daß ich ohnehin gerade zwei Bücher lese. Ein Wolfsbuch und eines von und über einen alten Indianer und dabei schon wieder neue, ungelesene anhäufe.

Dienstag, November 16, 2004

Der erste Schnee

Manche wollen ihn ja riechen können, denn da liegt er ja in der Luft - bevor er fällt, aber mir ist das bisher noch nie gelungen, ihn zu riechen. So kam er auch heuer wieder überraschend - nicht gerade aus heiterem Himmel, aber heiter und schön war der erste Flockentanz trotzdem.
Ich liebe Schnee, in allen Variationen, doch wenn es dazu richtig kalt ist, obwohl, dann schneit es kaum, dann muß er schon da liegen und wenn der dann unter den Schuhen knirscht, wenn das Mondlicht in jedem Schneekristall funkelt, dann funkeln auch meine Augen vor Freude.
Der erste Schnee war heuer, und das war keine Überraschung, naß und schwer. Sehr schwer, und wie es überall zu sehen ist, für viele Äste, Wipfel ja ganze Bäume zu schwer. Abgebrochen, geknickt, gebogen, abgerissen, zerfetzt, aufgesplittert. Die Bäume tun mir Leid, auch sie haben ihr bestes gegeben und nun fehlt ihnen plötzlich der Wipfel - entstellt, ein Leben lang. Nur, wissen sie schon davon? Sind sie nicht in einer langen, tiefen Winterruhe? Und wie tief ist diese Ruhe? Spüren sie den zerrenden Wind, den lastenden Schnee trotzdem? Oder erwachen sie im Frühjahr zu neuem Leben und spüren erst dann ihr Leid, beginnen erst dann zu sterben, weil sie zu viel verloren, zu viel eingebüßt haben?
Vom menschlich-zentrierten Nutzen-Standpunkt sah ich Schäden über Schäden und doch war es nur die gleiche gestalterische Kraft der Natur, die mich, durch ihr anarchisches Auftreten, bei vom Wind umgeworfenen Bäumen, so begeistert. Denn meist sind es Baumarten die dort nicht hingehörten, wo sie gestanden sind, sondern vom Menschen gefördert wurden - Buchen oder gar Fichten wo Erlen oder Eschen wachsen sollten. Windwürfe ziehen mich an. Wenn ganze Bäume plötzlich am Boden liegen, mit aufgerissenen Wurzeltellern, dann begreift man erst welch große, beeindruckende Wesen diese Bäume sind. Ich gehe sie meist ab, von den Wurzeln bis in den Wipfelbereich, wo ich balancieren muß. Eine besondere Erfahrung (obwohl ich gehe - ich ergehe mich in der Erfahrung, sozusagen).
Und nun die vielen Schneebrüche - keine Schäden, nur Veränderung!

Montag, November 15, 2004

Douglasien

Ein schöner Tag - für November.
Zwei Tage war ich nicht draußen und diese Einladung verführt.
Egal welchen Weg man hier einschlägt und ich kenne sie alle, man landet immer im Wald. Und der verändert sich. Seit ein paar Tagen ist er wieder offen geworden, offen-sichtlich und durch-schau-bar. Wenn alle Blätter abgefallen sind, sieht man den Wald trotz aller Bäume nicht - so kommt es einem zumindest vor. Ohne Blätter schützt er aber auch nicht mehr. Er schützt nicht mehr vor Regen, oder vor Sonnenlicht, wenn das noch eine Kraft besäße, aber er schützt auch nicht mehr vor Blicken. Jetzt gilt es - sehen und gesehen werden. Es ist eine eigene Zeit, diese Zeit der Offenheit. Ich freue mich zu sehen, zu erblicken, zu beobachten, erschrecke aber davor gesehen, erspäht, entdeckt zu werden.
Aber viele Waldgänger meiden nun die Kälte, die Kürze des Tages, den morastig weichen Boden und so bleibe ich doch meistens ungesehen.
Querfeldein, auf alten Spuren die eine Maschine hinterlassen hat, finde ich, oder vielleicht findet mich, der Douglasienstreifen am Ende des Großen Steinbruchgrabens.
Die Sonne scheint matt und mild und trotzdem wärmt sie, wärmt mehr als Erinnerung, oder ist es eine Hoffnung, eine Zuversicht, daß diese Stille, dieser Tod nicht endgültig ist, nur eine Pause, eine Rast.
Ich setze mich zum Fuße einer großen, alten Douglasie, lehne mich mit dem Rücken an sie. Ich mag ihre tiefe, rissige Borke. Sie ist warm, dazu die Sonne - ein kleines Glück.
Der Wind fährt in die Wipfel und da fällt er mir wieder auf, der Unterschied. Wind in Douglasien klingt anders als der selbe Wind in den umgebenden Rotbuchen. Aber er klingt nicht nur in Douglasien anders, auch in Fichten, Tannen, Kiefern - in allen Nadelbäumen. Aber was erklingt eigentlich, der Wind, die Bäunme, oder beide? Jedenfalls es rauscht und doch nicht. Es ist mehr wie ein Zischen, aber nicht kurz und hart und voller Drang, nein, ein geduldiges, beständiges, langgezogenes, mildes Zischen. Kein z, aber sehr viel sch und auf jeden Fall mehr ein i als ein au und schon gar kein r. Ruhig und schön, auch wenn der Wind auffrischt. Und was hinzukommt - man hört jeden Baum, sie bilden einen Chor, vielstimmig und doch gleich. Über einem, in den Kronen und Wipfeln und selbst sitzt man am Fuß und ist beschützt.
Gehe ich weiter zu den Buchen, ist der Wind noch der selbe, doch nicht sein Klang. Der ist auf einmal fern und doch trifft die bewegte Luft ganz deutlich meine Haut. Der Klang ist weg, der Schutz ist weg. Über allem liegt ein mahnendes Dröhnen, wie von einem weit entfernten Wasserfall, nur aus welcher Richtung kommt das Brummen, wo befindet sich denn dieser Fall? Über einem, vorne, hinten, seitlich, es dröhnt und droht - "suche Schutz, was kommt, wird nicht leichter".

Sonntag, November 14, 2004

Saatkrähen

Es ist eigentlich ein Nachtrag, denn aufgetaucht, nein eingeflogen sind sie schon Mitte Oktober.
Die russischen Saatkrähen.
Ganz schwarz, mit grauen Schnäbeln, etwas kleiner als die einheimischen Nebel- und Rabenkrähen und nicht so schön.
Ich erinnere mich gut an die Tage vor ihrer Ankunft.
Die Nebel- und Rabenkrähen waren deutlich aktiver und lauter als gewöhnlich. Eine Unruhe lag in der Luft, die ich mir nicht erklären konnte. Das Wetter war sonnig und mild, eigentlich kein Grund für Aufregung. Doch die Nebel- und Rabenkrähen flogen häufiger herum, krächzten verstärkt, verweilten kaum und waren dadurch viel auffälliger als sie es gewöhnlich sind. Als spürten oder ahnten oder wüßten gar etwas.
Und dann der Tag. Plötzlich waren sie da, die Saatkrähen, und wie. Freudig flogen sie herum, Sturzflüge, Kapriolen, Wendungen, sie jagten und verfolgten sich, und ihre Schreie waren Lebensfreude pur.
Die großen Schwärme tauchen im Herbst auf und verschwinden im Frühjahr wieder. Der Winter, obwohl eine karge Zeit, bietet ihnen hier bessere Überlebensmöglichkeiten als im kalten Russland.
Ich frage mich schon lange, was "unsere" Krähen davon halten.
Saatkrähen fliehen nicht so schnell, halten sich auch lieber in bebautem Gebiet auf und sind kaum einmal alleine zu sehen. Die Nebel- und Rabenkrähen sind, obwohl sie ständig hier leben, oder weil sie ständig hier leben, scheuer, bevorzugen auch mehr die Waldränder - die Gegend kennen sie natürlich trotzdem genau. Wie erleben sie das massenhafte Auftauchen der Saatkrähen und das in einer Zeit die sich ohnedies nicht durch Üppigkeit auszeichnet?

Samstag, November 13, 2004

Novembertag

Fenster und Türen bleiben besser zu und eine dichte Wolkendecke sperrt die fahle Sonne weg. Unauffällig fällt der Regen, fällt nicht, fließt beständig aus dem trüben Himmel auf die triefend nasse Erde. An den Zweigen wachsen Tropfen und schon lange keine Blätter mehr. Die Tiere, die geblieben sind, sind fort, versteckt in einer Zeit die steht und einem Raum der sich verloren hat. Das pralle Leben ist grau und feucht und weich geworden.
Ruhig, still und bald schon wieder dunkel zieht der Tag vorbei. Vorbei, als wäre nie je was gewesen. Kein Anfang und kein Ende, kein Lichtstrahl und kein Farbenrausch, kein Gestern und kein Heute, kein Zeugen, Werden, Wachsen - kein Vergehen.
Ein Traum, ein Sinnenspiel? Ein Wahn? Ein Trugbild oder doch nur eine Täuschung?
Im November wird das Leben bleich und kurze Tage riechen mehr und mehr nach Moder und Verwesung.
Nicht einmal die Krähen haben Lust zu fliegen und fliehen diesen Tag durch wunderbare Unauffindbarkeit.
Die Sonnenblumenkerne rührt keine Meise an und abgefallene Äpfel glänzen feucht doch unberührt im müden Gras.
Selbst die Gedanken bleiben matt und klein und Schritt für Schritt begleitet nur die Nähe unsern Weg. Denn Ziele werden fraglos sinnlos, lösen sich vom Sinnen ab und gehen auf in der erahnten Nichtigkeit des eignen Seins.
Wo Leben, bleibst du denn an solch Tagen?