Donnerstag, November 25, 2004

Frost

Letzte Nacht sank die Temperatur deutlich unter den Gefrierpunkt. Auch diese Nacht wird sie es wieder tun, denn der Himmel ist wolkenfrei und sternenklar - überdies hell erleuchtet vom nun fast vollen Mond, doch das hat damit nichts zu tun. Nirgendwo zieht schützender Nebel auf, nur kaltes Licht überflutet die ruhig gewordene Gegend. Der kleine Teich trug am Morgen erstmals wieder eine dünne, zerbrechliche Eisdecke und für den Wein und den Blauregen war das nun das endgültige Zeichen sich auf den nahenden Winter einzurichten und die letzten verbliebenen Blätter abzuwerfen. Nur mehr die kahlen Zweige und Ranken umrahmen noch die Fenster und Türen.
Es ist immer wieder faszinierend wann welche Pflanzen Abschied nehmen und sich in sich selbst zurückziehen. Wenn im späten August die ersten Blätter gelb werden, kann ich es nie wirklich glauben, daß die Zeit des Wachsens, des Zulegens, des Gedeihens schon wieder vorüber ist. Für sie hat es sich schon entschieden, ob das Jahr gnädig und gut oder anstrengend und karg geworden ist. Still und vorerst unmerklich schließen die Pflanzen ihr äußeres Leben ab. Werden die Blätter erst gelb oder rot, ist schon längst alles vorbei. Manche orientieren sich an der abnehmenden Wärme, andere an den kürzer werdenden Tagen; vielleicht spielt auch der Wasserhaushalt des Bodens mit, jedenfalls brauchen ein paar wenige den Frost.
Letztlich fällt er auch nur in die Kategorie "abgenommene Wärme", stark abgenommene Wärme natürlich, doch nur wenige Pflanzen reagieren so direkt auf ihn. Die meisten einheimischen Pflanzen ertragen ihn nur, können ihm in ihren inneren Leben trotzen und überdauern sein Einwirken. Außer er wird zu fordernd, dann zwingt er sich mit Gewalt in ihre Zurückgezogenheit und Sprünge und Risse zeugen von seinem Wirken.
Doch so schlimm wird es noch lange nicht sein. Die wärmende Sonne hat unter Tags die gefrorene Erde wieder aufgeweicht, doch an schattigen Stellen bleibt der weiße Reif den ganzen Tag liegen. Als Bruder des Schnees wird er nicht wirklich ernst genommen. Und doch tritt er als Schöngeist immer wieder wunderbar in unser Leben. Von ihm überzogene Pflanzen und Gegenstände erscheinen im neuen Lichte, doch ist seine Kunst meist viel zu vergänglich, viel zu filigran um von vielen Menschen bemerkt zu werden.