Montag, November 15, 2004

Douglasien

Ein schöner Tag - für November.
Zwei Tage war ich nicht draußen und diese Einladung verführt.
Egal welchen Weg man hier einschlägt und ich kenne sie alle, man landet immer im Wald. Und der verändert sich. Seit ein paar Tagen ist er wieder offen geworden, offen-sichtlich und durch-schau-bar. Wenn alle Blätter abgefallen sind, sieht man den Wald trotz aller Bäume nicht - so kommt es einem zumindest vor. Ohne Blätter schützt er aber auch nicht mehr. Er schützt nicht mehr vor Regen, oder vor Sonnenlicht, wenn das noch eine Kraft besäße, aber er schützt auch nicht mehr vor Blicken. Jetzt gilt es - sehen und gesehen werden. Es ist eine eigene Zeit, diese Zeit der Offenheit. Ich freue mich zu sehen, zu erblicken, zu beobachten, erschrecke aber davor gesehen, erspäht, entdeckt zu werden.
Aber viele Waldgänger meiden nun die Kälte, die Kürze des Tages, den morastig weichen Boden und so bleibe ich doch meistens ungesehen.
Querfeldein, auf alten Spuren die eine Maschine hinterlassen hat, finde ich, oder vielleicht findet mich, der Douglasienstreifen am Ende des Großen Steinbruchgrabens.
Die Sonne scheint matt und mild und trotzdem wärmt sie, wärmt mehr als Erinnerung, oder ist es eine Hoffnung, eine Zuversicht, daß diese Stille, dieser Tod nicht endgültig ist, nur eine Pause, eine Rast.
Ich setze mich zum Fuße einer großen, alten Douglasie, lehne mich mit dem Rücken an sie. Ich mag ihre tiefe, rissige Borke. Sie ist warm, dazu die Sonne - ein kleines Glück.
Der Wind fährt in die Wipfel und da fällt er mir wieder auf, der Unterschied. Wind in Douglasien klingt anders als der selbe Wind in den umgebenden Rotbuchen. Aber er klingt nicht nur in Douglasien anders, auch in Fichten, Tannen, Kiefern - in allen Nadelbäumen. Aber was erklingt eigentlich, der Wind, die Bäunme, oder beide? Jedenfalls es rauscht und doch nicht. Es ist mehr wie ein Zischen, aber nicht kurz und hart und voller Drang, nein, ein geduldiges, beständiges, langgezogenes, mildes Zischen. Kein z, aber sehr viel sch und auf jeden Fall mehr ein i als ein au und schon gar kein r. Ruhig und schön, auch wenn der Wind auffrischt. Und was hinzukommt - man hört jeden Baum, sie bilden einen Chor, vielstimmig und doch gleich. Über einem, in den Kronen und Wipfeln und selbst sitzt man am Fuß und ist beschützt.
Gehe ich weiter zu den Buchen, ist der Wind noch der selbe, doch nicht sein Klang. Der ist auf einmal fern und doch trifft die bewegte Luft ganz deutlich meine Haut. Der Klang ist weg, der Schutz ist weg. Über allem liegt ein mahnendes Dröhnen, wie von einem weit entfernten Wasserfall, nur aus welcher Richtung kommt das Brummen, wo befindet sich denn dieser Fall? Über einem, vorne, hinten, seitlich, es dröhnt und droht - "suche Schutz, was kommt, wird nicht leichter".