Dienstag, November 16, 2004

Der erste Schnee

Manche wollen ihn ja riechen können, denn da liegt er ja in der Luft - bevor er fällt, aber mir ist das bisher noch nie gelungen, ihn zu riechen. So kam er auch heuer wieder überraschend - nicht gerade aus heiterem Himmel, aber heiter und schön war der erste Flockentanz trotzdem.
Ich liebe Schnee, in allen Variationen, doch wenn es dazu richtig kalt ist, obwohl, dann schneit es kaum, dann muß er schon da liegen und wenn der dann unter den Schuhen knirscht, wenn das Mondlicht in jedem Schneekristall funkelt, dann funkeln auch meine Augen vor Freude.
Der erste Schnee war heuer, und das war keine Überraschung, naß und schwer. Sehr schwer, und wie es überall zu sehen ist, für viele Äste, Wipfel ja ganze Bäume zu schwer. Abgebrochen, geknickt, gebogen, abgerissen, zerfetzt, aufgesplittert. Die Bäume tun mir Leid, auch sie haben ihr bestes gegeben und nun fehlt ihnen plötzlich der Wipfel - entstellt, ein Leben lang. Nur, wissen sie schon davon? Sind sie nicht in einer langen, tiefen Winterruhe? Und wie tief ist diese Ruhe? Spüren sie den zerrenden Wind, den lastenden Schnee trotzdem? Oder erwachen sie im Frühjahr zu neuem Leben und spüren erst dann ihr Leid, beginnen erst dann zu sterben, weil sie zu viel verloren, zu viel eingebüßt haben?
Vom menschlich-zentrierten Nutzen-Standpunkt sah ich Schäden über Schäden und doch war es nur die gleiche gestalterische Kraft der Natur, die mich, durch ihr anarchisches Auftreten, bei vom Wind umgeworfenen Bäumen, so begeistert. Denn meist sind es Baumarten die dort nicht hingehörten, wo sie gestanden sind, sondern vom Menschen gefördert wurden - Buchen oder gar Fichten wo Erlen oder Eschen wachsen sollten. Windwürfe ziehen mich an. Wenn ganze Bäume plötzlich am Boden liegen, mit aufgerissenen Wurzeltellern, dann begreift man erst welch große, beeindruckende Wesen diese Bäume sind. Ich gehe sie meist ab, von den Wurzeln bis in den Wipfelbereich, wo ich balancieren muß. Eine besondere Erfahrung (obwohl ich gehe - ich ergehe mich in der Erfahrung, sozusagen).
Und nun die vielen Schneebrüche - keine Schäden, nur Veränderung!