Donnerstag, Juni 09, 2005

Aus dem Archiv (vor etwa drei Jahren geschrieben)

Das erste Mal in meinem Leben hörte ich heute den lauten, scharfen Schrei eines Graureihers. Zuerst habe ich ihn gar nicht als Graureiherschrei wahrgenommen und war mir überhaupt nicht sicher, tatsächlich ein Geräusch gehört oder es mir nur eingebildet zu haben. Doch die beiden folgenden Schreie waren eindeutig und konnten wirken. Aus einem bisher stummen, lautlosen Vogel wurde ein Wesen mit Charakter. Aus dem stillen, unauffälligen Geschöpf wurde mit diesen Schreien plötzlich ein auf sich aufmerksam machendes Wesen, das seinen Platz einfordert, das seine Anwesenheit beansprucht, das seine Interessen lautstark kundtut.
Wie ist es passiert?
Ich war wieder, wie so oft, rund um den Wienerwald See skaten, doch dieses Mal etwas später als sonst, so gegen neun Uhr. Aufgrund aufziehender Wolken gab es keinen langsamen Sonnenuntergang und die Dämmerung setzte früher ein. Ich fuhr im schon schwachen Licht über den Damm, als ich glaubte aus dem Überlaufgraben etwas gehört zu haben. Ich grübelte noch, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm und einen großen grauen Vogel entdeckte. Dieser flog Richtung Dammkrone. Im Dämmerlicht verlor ich ihn aber aus den Augen. Ich blieb stehen, blickte mich suchend um und konnte kurz darauf nicht nur einen Reiher entdecken, sondern zwei. Sie flogen noch eine Schleife um Höhe zu gewinnen und überquerten die Dammkrone trotzdem nur knapp. Wie sie auf den See hinausflogen stieß einer der beiden Reiher noch zweimal seinen markanten Schrei aus. Über dem See drehten sie dann ab und flogen wieder das Wiental hinunter.
Wow, das erste Mal in meinem ganzen bisherigen Leben und hoffentlich nicht das letzte Mal. Es war etwas Besonderes!
Reiher habe ich schon unzählige gesehen, fliegend, mit ihrer charakteristischen s-förmig geschwungenen Halshaltung, oder ruhig im seichten Wasser stehend, auf der Jagd nach Fischen. Es ist noch gar nicht so viele Tage her, daß ich sogar drei Exemplare am oberen Ende des Sees in unmittelbarer Nähe zueinander beobachten konnte. Meistens sehe ich sie aber alleine.
Ja, gesehen, das schon - sie überhaupt sehen zu können finde ich schon toll - aber hören? Mir ist nie etwas abgegangen. Obwohl Vögel sonst ja eher laute Zeitgenossen sind, habe ich mich nie gefragt "warum ist dieser Vogel so leise?" oder "welche Laute gibt dieser Vogel von sich?". Mir hatte gereicht ihn zu sehen und weiter gingen meine Gedanken nicht, mir fehlte nichts, lebe ich doch in einer ohnehin sehr geräuschvollen Zeit (wenn auch die meisten Laute menschlichen Ursprungs sind). Ist dieses "nicht Abgehen von Stimme? reine menschliche Überheblichkeit, oder weist sie auf ein Verkümmern hin, auf ein Verkümmern der Wahrnehmungsfähigkeit den Lauten der Natur gegenüber. Jetzt, da ich den Reiher gehört habe ist es selbstverständlich, daß er eine Stimme hat, doch vorher ist er mir in seiner Laut-Losigkeit normal vorgekommen.
Wie klingt nun dieser Laut?
Sofort beim Hören war die Assoziation da, "das klingt ähnlich wie ein Kranichschrei" - laut, scharf, hoch, nicht melodisch schön, doch markant, leicht krächzend, kein Pfeifen. Was er bedeutet, oder warum er ausgestoßen wurde, weiß ich nicht. War es ein Paarungslaut, war es überhaupt ein Paar, oder war es ein Kampf-, ein Drohlaut und war der zweite Vogel vielleicht ein Rivale, ein Konkurrent? Hat es etwas mit der späten Abendstunde zu tun, oder mit dem für Juni ungewöhnlich warmen Wetter? Bis vor einigen Stunden wußte ich nicht einmal, daß es ihn gibt, diesen Reiherschrei und jetzt wüßte ich gerne alles darüber. Doch wie bei den meisten Tieren weiß ich wenig bis gar nichts über sie, bin schon damit zufrieden sie zu erkennen, sie als Spezies eindeutig ansprechen zu können - welch ein armes Leben. Meine "Nachbarn" sind mir unbekannt.