Freitag, Dezember 10, 2004

Totem

Auch wenn ich es aus einer falsch verstandenen Tradition heraus, die allen Greifvögeln und Raubtieren einen höheren Stellenwert beimißt, gerne anders gehabt hätte, mein Totemtier muß wohl das Reh sein. Als Kind wählte ich unwissend den Falken und als Wolfsfan wäre natürlich dieses Tier sehr willkommen, man denke nur an "Der mit dem Wolf tanzt", das zeigt von Größe. So ist mir aufgefallen, daß heutzutage in indianerfreundlichen Kreisen auch diese Einfältigkeit der Namensgebung vorherrscht - Wolfsfrau, Wolfmann, Wolfkämpfer... Doch ein Totemtier wählt man nicht, man sucht es sich nicht aus. Die Verbindung ist gegeben und man kann sie nur akzeptieren oder eben nicht - was aber nichts daran ändert.
Warum komme ich darauf?
Den aktuelle Anlaß bilden zwei Filme:
Michael Moores "Fahrenheit 9/11" und
Jurij Kchashtschevatskij "Gefangen im Kaukasus".
In Moors Film wird kurz die öffentliche Enthauptung eines Saudis gezeigt. Der Scharfrichter nähert sich dem am Boden auf einem weiten Platz knieenden, die Hände am Rücken gefesselten Verurteilten, mit einem Schwert und braucht zwei Hiebe, bis der Kopf herunterfällt...
In Kchashtschevatskijs Film wird beinahe, er blendet die eigentliche Tat im allerletzten (!!!) Moment schwarz aus, die Tonspur läuft aber normal weiter, das schreckliche Umbringen von gefangenen Soldaten durch Durchschneiden des Halses mit einem Messer gezeigt. Die Tat bleibt hör- und damit erlebbar.
Alleine beim Beschreiben dieser Szenen wird mir schlecht.
Diese Szenen haben mich tief entsetzt - horrified (!!!)
Es geht um das brutale Töten von Menschen aber jeder Tötungsakt ruft äußerst unangenehme Gefühle in mir wach (das sind auch meine Alptraumthemen...)
Aber auch Szenen aus Tierdokumentationen, in denen zum Beispiel Wölfe einen Elch reißen, oder Löwen einen Büffel und schon, am noch lenenden Tier, zu fressen beginnen, oder diese unvergeßliche Szene in der ein Grizzly einen Hirsch durch einen Fluß verfolgt und der Hirsch, obwohl er etwas Vorsprung hat, am gegenüberliegenden Ufer seine Flucht nicht fortsetzt, sondern sich dem Grizzly stell und dieser ihn mit seiner Kraft und seinem Gewicht am Geweih zu Boden drückt und seinen Kopf verdreht, bis der Hirsch erstickt (?) oder seine Wirbelsäule bricht (?)...
Ich war selbst einmal, in meiner Zeit als Förster, mit einem geliehenen Gewehr auf Jagd und es zeigte sich auch ein Reh, aber wie schon bei allen vorangegangenen Beobachtungen, hatte ich nie das Bedürfnis oder den Wunsch, dieses Lebewesen auch zu töten.
Töten ist nicht meine Sache.
Doch Töten gehört zumindest bei den "Beutegreifern" zum Alltag, ist überlebensnotwendig. Und dieses Töten bestimmt auch das Leben dieser Tiere, aber auch deren Bewußtsein. Natürlich unterscheidet es sich in einer gewissen Weise vom menschlichen Töten in einem Krieg, doch die Basis ist gleich. Das entscheidende ist wohl der Umstand, daß dieses Leben nehmen für Wolf, Adler, Bär oder Mensch, ein besonderes Ereignis sein muß, daß seine Spuren im Geist (in der Seele) hinterläßt.
Wie war die schöne Definition von Seele - "Die Seele ist keine Funktion des Gehirns, sie speichert Erlebnisse im Körper". Dieses gespeicherte Erlebte wirkt sich natürlich auf die zukünftigen Handlungen aus, wirkt sich auf die Art und Weise wie man die Welt sieht und vorallem erlebt aus, beeinflußt unsere eigene Sichtweise, aber auch wie wir gesehen werden.
Und da schließt sich der Kreis - das Reh, das immer potenziell gefressen, also getötet werden kann, das aufpassen und vorsichtig sein muß, immer fluchtbereit oder zumindest aufmerksam, führt ein anderes Leben, als der gerne zitierte Wolf. Und betrachte ich meine Sicht der Welt, finde ich eine gewisse Vorsicht durchaus angebracht, empfinde ich kein Vergnügen oder keine Genugtuung in, heute natürlich rein verbalen Auseinandersetzungen, den anderen besiegt (mundtot gemacht) zu haben. Denke ich zurück an meine Schulzeit, waren auch nie Glücksgefühle vorhanden, wenn ich aus Raufereien als Sieger hervorgegangen bin, wie wohl Angriff nie meine beste Verteidigung gewesen ist.
Das Reh erlebt seine Umwelt fundamental anders, als sein Jäger - ob Wolf, Luchs oder Mensch. Es ist kein von ständiger Furcht gepeinigtes Leben und die Angst sitzt nicht ständig im Nacken. Freude, Stärke und Zufriedenheit spielen eine wesentliche Rolle (im Gegensatz dazu ist das Töten müssen auch eine Belastung). Und ohne darauf jetzt näher eingehen zu wollen, fühle ich eine Vertrautheit der Sichtweise. Belassen wir es dabei, um nicht zu abschreckend zu wirken.
Doch drückt sich in unserer gewalttätigen Zeit (ich denke nur an den vielgepriesenen Killerinstinct von Managern) in der Vorliebe für Raubtiere, die in den letzten Jahren durch eine noch größere Vorliebe für gefühls- und seelenlose Maschinen abgelöst wurde, eine Wertigkeit aus, die Aggresion, Kampf und Gewalt und damit dem Herrschen und vorallem Beherrschen einen übergroßen Stellenwert gibt. So wird auch Darwins "survival of the fittest" als Rechtfertigung für alle möglichen Gewaltanwendungen mißbraucht (so kennt auch kaum jemand Kropotkin, der etwa zeitgleich mit Darwin zu ganz anderen Schlüssen gekommen ist und mit seinem "mutual aid" doch viel besser die natürliche Basis beschreibt).
Doch zurück zum Töten.
Das Auslöschen eines Lebens erfordert gerade für den Menschen eine ihn unterstützende Kultur, die den richtigen Umgang mit diesem Erlebnis ermöglicht. Alte Kulturen haben bestimmte Zeremonien die ein Jäger durchführen muß, um das getötete Tier zu ehren, beziehungsweise unterstreicht die Zeremonie die Außergewöhnlichkeit der Tat, durch zum Beispiel bestimmte, auszuführende Reinigungsrituale. So etwas gibt es auch für kriegerische Handlungen.
Doch war die Laufbahn als Krieger oder Jäger nicht für jeden vorgegeben und alternative Lebenswege deswegen nicht weniger angesehen.
Das drückt sich auch in alten indianischen Namen aus - waren mir früher Namen wie Sitting Bull oder Lame Deer nicht wirklich verständlich, so habe ich erkannt, daß gerade diese Namen die Mannigfaltigkeit der Natur, in der das Töten vorkommt, aber eben nur als ein Teilbereich, viel, viel besser spiegeln und die geistige Ausrichtung (eines Volkes) erkennen lassen.