Sonntag, Dezember 19, 2004

Frischer Schnee am Abend

Die letzten Flocken fielen zwar schon als ich aufbrach, doch ich mußte einfach noch einmal raus. Wenn eine frische unberührte Schneedecke über allem liegt, die Autos stehen gelassen werden, ist es endlich ruhig und bezaubernd. Egal wie spät es dann ist, dann muß ich einfach raus, muß noch ein wenig herumgehen, muß einfach draußen sein, denn den frischen Schneezauber kann man nicht vom Fenster aus erleben und genießen.
Wie vor Jahren, um zwei Uhr früh, oder spät, je nach Sichtweise, raus in das frisch verschneite Wien. So menschen- aber vorallem autoleer habe ich die Stadt nie wieder erlebt. Ich konnte mitten auf Straßen gehn, wo sich sonst die Autos Stoßstange an Stoßstange dahinbewegen.
Die Stille war für eine Großstadt einmalig und erhielt ihre Wirkung einerseits durch das Fehlen des gewöhnten Verkehrslärmes, andererseits aber einfach auch aus dem Wegfall von Bewegung. Nur mehr starre Strukturen - Straßen, Plätze, Häuser, Bäume, Laternen. Und dazu kam noch das besondere Licht. Der frische und damit noch weiße Schnee, der das Licht der Straßenbeleuchtung wieder nach oben reflektierte, dazu das vorherrschende Weiß, ließen Straßen, Plätze aber auch Dächer zart erstrahlen. So ergaben die Sinneseindrücke ein merkwürdig fremdes Bild dieser gewohnten Stadt.
Schon mit dem beginnenden Frühverkehr war der Zauber dahin, aus beruhigender Stille wurde treibende Hektik, aus weißem Schnee brauner Matsch.
Am Land sind die Eindrücke natürlich etwas anders, obwohl der Zauber der frischen, unberührten, weißen Schneedecke beiden gemein ist. Der Straßenlärm ist hier sowieso ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr das Problem und das Strahlen des Schnees, daß von den vielen künstlichen Lichtquellen hervorgerufen wird, hält sich mangels Anzahl in Grenzen. Doch die Schneedecke wird zum Buch des Lebens, der Offenbarung. Geht man in einer normalen Nacht noch raus, fühlt man sich alleine, geht einsam über Straßen und Wege. Aber das ist ja nie der Fall. Die Nacht ist voller Leben, man bemerkt es meist nur nicht. Doch der Schnee ist verräterisch und hält jede Bewegung eines Lebewesens und sei es als noch so zarte Spur fest.
Nicht jede Spur ist zart, auch andere Leute sind gelegentlich mit ihrem Hund noch spät unterwegs. Doch selbst deren Spuren erzählen etwas. Ob es ein großer oder kleiner Hund war, ob eine Frau oder ein Mann den Hund begleiteten, woher sie kamen, wohin sie gingen, je nach Zustand des Abdrucks, wie lange es her war, daß sie gegangen waren.
Interessant finde ich die vielen Katzenspuren, zeigen sie plötzlich Wege und weisen auf Schlupflöcher in Zäunen und Mauern, oder zeigen die Zielstrebigkeit der Samtpfoten. Eine dürfte vom Schnee, vom feuchten, kalten Schnee, doch ziemlich verunsichert worden sein, denn ihre Spur führte gerade von einer Haustür weg, zwei, drei Meter, um sich in einem wirren Zickzack aufzulösen und erst danach schnurstracks auf das nächste Gartentor zuzulaufen.
Eine Hasenspur ist mir am Ende des Spazierganges noch aufgefallen, denn die war relativ weit innerhalb des verbauten Gebietes und da habe ich sie mir nicht erwartet.