Mittwoch, Dezember 15, 2004

Eine kleine Vogelkunde

Wir leben angeblich in einer Zeit der Informationsflut.
Vielleicht werden wir sogar von Informationen überflutet, doch unser Wissen nimmt beständig ab. Auf mehreren Weltkarten wurde einmal das jeweilige geographische Wissen unterschiedlicher Epochen dargestellt. Zu meiner großen Überraschung nahm das Wissen über die Welt nicht beständig zu, sondern es gab auch Zeiten, wo offensichtlich Wissen verloren gegangen war.
Was die Natur betrifft, ihre Vorgänge und Zusammenhänge, aber natürlich auch ihre Bewohner, ist unser Wissen sicherlich schon seit langer Zeit rückläufig. Und was wir nicht kennen, geht uns natürlich auch nicht ab. Wie sollten wir auch Unbekanntes schützen können, wenn wir nicht einmal von dessen Existenz wissen.
Der Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel führt in seiner Liste der nachgewiesenen Arten 329 verschiedene Vogelarten an. Eine beachtenswerte Zahl, denn meine Vogelhäuschen werden von gerade 19 Arten besucht und generell stehen in meiner Liste der bewußt beobachteten Vögel etwa 66 Arten. Gesehen habe ich sicher schon mehr, nur konnte ich entweder nicht erkennen was ich da beobachtete, oder ich kannte die Vogelart einfach nicht, oder mir war gar nicht bewußt was ich da zu sehen bekam.
Automarken kenne ich hingegen alle, und bei vielen auch die jeweiligen Modelle. Das ist ja keine Kunst, steht doch der Name und die Bezeichnung meist am Heck des Fahrzeuges. Mein Bruder hat mir stolz erzählt, daß seine kleine, vierjährige Tochter schon fünf Automarken kennt. Doch meine Frage: "Und wieviele Baumarten kennt sie schon?" blieb unbeantwortet.
Bei einem Ausflug in den Nationalpark Donauauen sah ich auf weite Distanz einen großen Vogel wegfliegen. Die Art und Weise des Flügelschlages, die Umrisse und die Spannweite der Flügel, all diese kurzen Eindrücke ergaben für mich eindeutig das Wissen einen Raubvogel gesehen zu haben. Da mir in der Größe vorallem Bussarde geläufig sind, dachte ich mir eben, wieder einmal einen Mäusebussard gesehen zu haben. Erst später erfuhr ich, daß der Nationalpark eine große Kolonie Schwarzmilane beherbergt. Die sind ebenfalls bussardgroß, und man muß schon auf bestimmte Details (wie die Stoßfedern) achten, um sie als Milane erkennnen zu können. Nur das habe ich nicht und so weiß ich nicht, habe ich nun einen Mäusebussard oder einen Schwarzmilan gesehen.
Das ist letztlich nicht weiter wichtig, doch zeigt diese Geschichte, daß man nur sieht, was man kennt. Und wenn man nur wenig sieht, heißt das noch lange nicht, daß nur wenig vorhanden ist. Wir kennen halt nur wenig und viele Pflanzen und Tiere gehen dadurch unbemerkt an uns vorbei. So stellt sich die Frage, ob wir die noch vorhande Reichhaltigkeit der Natur zu schätzen wissen, bezeihungsweise, ob uns heutigen Durchschnittsmenschen die Artenarmut vieler Gegenden bewußt wird und wir uns deswegen Sorgen machen?