Samstag, Dezember 11, 2004

Ein Dach aus Erde

Nur ein paar Meter neben einem Pfad, obwohl das keine Rolle spielt, wohl mehr, daß sie am Rande des Bestandes gestanden ist und wohl auch, daß sie mit etwa dreißig Zentimeter Durchmesser nicht sonderlich stark war, was ja nicht bedeutet, daß ihre Zweige nicht trotzdem bis ins Kronendach gereicht haben. Diese Rotbuche ist umgestürzt. Der Wind hat ihr wohl so zugesetzt, daß ihre Kräfte einfach nicht mehr reichten. Sie hat vielleicht aufgegeben, denn nachdem sie durch den angrenzenden Kahlschlag plötzlich am Bestandesrand gestanden ist, war ihr Leben nicht mehr dasselbe. Sie war nun die erste, die alles abbekam, jeden Wind, jeden Regen, jeden Hagel. Und alles vorallem viel direkter - das intensive, austrocknende Sonnenlicht, die beißenden Fröste, die böigen Winde. Kein schützender Bestand mehr, der die Winter milderte, die Sommer feuchter und kühler hielt und die Stürme dämpfte.
Und nun ist es vorbei. Doch mit ihrem Fallen hat sie die sie umgebende Erde aufgerissen. Ein großer, zweieinhalb bis drei Meter großer Wurzelteller ragt nun schräg in die Höhe. Im dichten, etwa einen Meter hohen Buchenjungwuchs klafft nun ein Loch aus Erde, Steinen, Wurzelsträngen. Die Ränder des Wurzeltellers sind schon etwas abgesunken und hängen über, verstärken damit aber den beschützenden Charakter dieses von der Natur geschaffenen Unterstandes. Hockt man in der Mulde und blickt in den Wald, ist hinter und über einem der Erdwall und die verbleibenden offenen Seiten werden durch den schon erwähnten Jungwuchs abgedeckt. Eine kleine geschützte Insel. Und die Haare ich dort vorfinde und die ersten Anzeichen eines noch kaum sichtbaren Wildwechsels, der durch die jungen Buchenruten in die Mulde führt, zeigen, daß ich nicht der erste bin, dem dies auffällt. Ich vermute, daß es ein Wildschwein war, denn die dunkelbraunen Haare und der erdige Untergrund sprechen gegen ein Reh. Wahrscheinlich war es daher eher die Nahrungssuche, die das Wildschwein in die Mulde geführt hat, aber die nun frostigen Nächte waren darin sicher angenehmer auszuhalten. Zumindest konnte man einige Zeit darin verschnaufen und vielleicht gleich den einen oder anderen Wurm finden.