Samstag, Dezember 25, 2004

Der Traum der Amsel

Da drüben, an der Wand, da gibt es sie noch. Diese süßen kleinen Trauben des wilden Weins. Die schmecken so gut. An den guten Plätzen, da sind sie schon weg. Die haben alle leicht erreicht. Ich saß doch selbst am Zaunpfahl, oder oben, auf der Laterne und natürlich am schmalen Fensterbrett. Und wenn nicht ich, dann eine andere Amsel, ich bin leider nicht allein.
Doch nun heißt es geschickt sein, sich an einem Trieb irgendwie festzukrallen, zu flattern, aber nicht zu hektisch, sonst erwischt man die kleinen Trauben nicht und bevor man doch runterstürzt schnell wieder wegzufliegen, rüber zu den Sträuchern, zum verschnaufen. Auch tun die Flügel weh und die Federn sind zerzaust, scheuern sie doch an der Wand und immer wieder stößt man dagegen. Wenn nicht die Trauben so gut schmeckten. Und dabei muß man noch zusätzlich aufpassen, daß man nicht doch eine Katze übersieht, die sich anschleicht. Aufgeweckt vom vielen Flattern. Es ist nicht einfach.

Dabei könnte es so schön sein.
Wäre ich nur kleiner, fiele es mir viel leichter meine Flügel schneller zu bewegen. Rasend schnell, rauf und runter, vor und zurück. Und ich schwebte in der Luft, elegant an einer Stelle, mit einer Leichtigkeit ohne mich festklammern zu müssen, einfach weil ich es so wollte und könnte. Dann flöge ich zu dieser Wand, hin zum wilden Wein, ganz dicht, schwebte ruhig in der Luft und suchte mir die besten Trauben aus, egal wo, nur ich alleine und die anderen müßten zusehen. Eine Traube da, eine dort, ach, da hinten sehe ich auch noch welche. Ich hörte erst auf wenn ich satt wäre. Ich glitt an der Mauer entlang und wäre sie noch so glatt, mir wäre es nur recht, was sollte es mich hindern.
Wenn ich könnte wie ich wollte, wäre ich ein Kolibri.