Freitag, Dezember 31, 2004

Das neue Jahr

Offiziell fängt es erst an, aber für mich dauert es schon wieder zehn Tage. Damit ist es nicht mehr neu, aber auch noch nicht wirklich alt. Seit zehn Tagen werden diese ja wieder länger, dafür die Nächte endlich wieder kürzer. Die Sonne hat ihren Gang gewendet und für sechs Monate wird sie uns wieder mehr geben, mehr Licht, mehr Wärme, mehr Freude aber vor allem mehr Leben.
Ist diese Wende somit nicht der ideale Zeipunkt ein Jahr beginnen zu lassen? Sich wieder der Rhythmen der Natur zu erinnern heißt natürlich sie zuerst wahrzunehmen. So kurz vor dem christlichen Weihnachtsfest geht die Wintersonnenwende fast unbemerkt an uns vorbei und was das Besondere an dem Termin eine Woche später sein soll, ist mir verborgen geblieben. Aber gerade diese Willkür macht es wohl aus.
Für mich bleibt es dabei - geht die Sonne am Morgen auf, beginnt der Tag, wechselt sie ihre Bahn, beginnt das Jahr.

Donnerstag, Dezember 30, 2004

Angst

Der Anlaßfall ist eine TV-Sendung zur Situation der Wölfe in Deutschland, doch beschäftigen mich diese Gedanken schon lange. Muß man sich vor dem Wolf fürchten?
Die einen sagen nein, völlig absurd, die anderen ja, unbedingt.
Ich sage - ich weiß es nicht! Ich habe keinerlei Erfahrung mit Wölfen und ich meine nicht die, die hinter einem Gitter oder einem Zaun vorgeführt werden.
Was ich habe, sind Erfahrungen mit Hunden (dazu zählen auch zwei Bisse) und Erfahrungen in freier Natur.
Was Hunde anbelangt, denke ich an meine Malamut-Hündin. Wenn ich ihr einen Kalbsknochen gebe, beobachte ich immer fasziniert, über welche Kräfte der Hund verfügt. Da kracht der Knochen, da wird zermalmt und aufgebrochen, daß ich einfach darüber staunen muß, wieviel sich mein Hund von mir gefallen läßt. Nicht, daß ich sie schlage oder ihr irgendwie weh tue, aber ich setze mich als "Rudelchef" durch und sie akzeptiert das, geht, wenn ich es für nötig erachte, bei Fuß, macht Sitz oder geht am Platz. Was wäre wohl, wenn sie sich einmal gegen mich auflehnen würde? Was, wenn sie wollte, wie sie könnte... Ein Angriff, ein paar Bisse und meine Situation wäre sehr prekär.
Aber sie tut es nicht und ich werde sie auch nie in eine Situation bringen, in der sie es angebracht fände.
Neulich erzählte mir eine Frau, weil sie sich vor meinem Hund fürchtete, der auf sie zugelaufen war (es war ein ungewöhnlicher Vorfall, doch dessen Schilderung führt mich zu weit vom Thema weg), daß man sich eben bei einem Hund nie sicher sein kann. Das habe ich entschieden zurückgewiesen. Ich bin mir sicher, so sicher wie man sich bei einem Lebewesen sein kann! Hunde sind nicht unberechenbar. Natürlich haben sie ein Eigenleben, natürlich machen auch sie "Fehler", doch das bedeutet nicht Tieren prinzipielle Unberechenbarkeit zu unterstellen.
Interessanterweise bringen Unfälle im Straßenverkehr niemanden dazu sich vor Autos zu fürchten. Und warum nicht, warum argumentiert bei Autofahrern niemand mit "man kann sich einfach nicht sicher sein"? Anstatt hysterisch zu reagieren wie bei Tieren, lernen wir mit einer gewissen Restunsicherheit umzugehen.
Gebissen wurde ich zweimal von Hunden, als ich die raufenden Tiere, am Nackenfell packen wollte, um sie trennen zu können. Meine Griffe waren wohl nicht so gezielt. Fürchte ich mich deswegen vor Hunden? Nein, nur gehe ich, wenn sie raufen, heute vorsichtiger vor. Ich habe gelernt, damit umzugehen.
Doch nun zum zweiten Punkt, meinen Erlebnissen in freier Natur.
Als wesentliche Erlebnisse führen ich meine Aufenthalte in Bärengebiet an. Ob es das alleinige wandern in der Dunkelheit ist, oder gar das Übernachten, wenn man weiß, daß es ein Tier gibt, das einem überlegen ist, verliert man seine Unbekümmertheit. Dann kommen irgendwann doch alle Berichte über Bären wieder zum Vorschein, die man jemals gesehen oder gehört hat.
Vorallem als ich draußen übernachtet habe, war in der Aufregung des Ungewohnten auch ein Schuß Angst vor dem Raubtier dabei. Aber nicht die konkrete Angst des bedroht seins, sondern vielmehr die unbestimmte Angst des gar nicht wissens, ob eventuell eine Bedrohung vorliegt. Ich habe nie gelernt, weil ich es mangels Möglichkeit auch gar nicht konnte, mit dem Risiko Bär umzugehen. Als Risiko bezeichne ich den Bären, weil er einfach ein gewisses Potenzial hat. Ein Potenzial Schaden zuzufügen und ein Potenzial zu töten. Das sagt jetzt nichts über die Wahrscheinlichkeit aus. Doch mir genügt die reine Möglichkeit, nur führt mich diese Möglichkeit nicht dazu, daß Tier für seine Fähigkeiten negativ zu bewerten und es als böse zu bezeichnen. Ganz im Gegenteil, doch das vorhandene Potenzial bewirkt bei mir einen gewissen Respekt. Doch leider kann ich dieses Risiko nicht einschätzen - und das verunsichert zutiefst!
Bei Hunden weiß ich etwa wie ich ihr Verhalten, ihre Körpersprache einzuschätzen habe, bei Bären nicht, oder umgekehrt -
Bären sind mir in ihrem Verhalten aber auch in ihren Bedürfnissen fremd.
Und so ginge es mir auch bei Wölfen. Ich kann die Schilderung eines Abenteurers gut verstehen, wenn er alleine in der Wildnis unterwegs ist und plötzlich von mehreren Wölfen "begleitet" wird, daß ihm mulmig zumute wird. Außerdem, warum sollen Tiere die Elche töten nicht auch einmal einen Menschen "erlegen"? Wäre das wirklich so ungeheuerlich? Für mich nicht. Warum sollte es nicht Situationen geben, bei denen sich gewisse Regeln umkehren?
Sind denn alle Menschen schlecht, weil es Mörder gibt? Sind alle Schlangen schlecht, weil manche Giftzähne haben? Ist der Winter schlecht, weil in der Kälte schon Menschen erfroren sind? Ist das Meer schlecht, weil in ihm schon viele ertrunken sind?
Ich habe einen Bericht über Sibirische Tiger gesehen. Ein verletztes Tier hat in einem Winter zwei Menschen getötet und gefressen. Als es erlegt wurde zeigte sich, daß es mehrfach angeschossen und verwundet gewesen war, dadurch stark in seinen Bewegungen behindert. Was belegt das? Das Tiger Menschen fressen? Nein, normalerweise eben nicht, doch es kann vorkommen - und?
Natur hat keinen Heiligenschein, damit haben Wölfe auch keinen. Vor Jahren unterstellten Wolfsbefürworter entschuldigend den Wölfen, daß sie nur alte und kranke Tiere rissen. Dann kam man dahinter, daß das nicht ausschließlich so ist. Waren sie damit doch wieder "schuldig"? Dann entschuldigte man die Wölfe, daß sie nur so viel töten, wie sie fressen können. Auch das hat sich als nicht haltbar erwiesen. Doch wieder "schuldig"? Heute erzählen viele, Wölfe sind für den Menschen völlig ungefährlich. Was, wenn auch das nicht hundertprozentig zutrifft? Ist er dann endgültig überführt?
Warum muß der Wolf gut oder böse sein?
Kann er nicht einfach sein?
Wir brauchen keine Angst zu haben, aber Respekt hat er auf jeden Fall verdient.

Mittwoch, Dezember 29, 2004

Ein Wiedersehen

Heute gab es endlich ein Wiedersehen. Durch die Umstände, die die Feiertage verursachen, waren meine gewohnten langen Spaziergänge ausgefallen. Leider. Natürlich war ich draußen gewesen, die Füße vertreten, zwischen den Feierlichkeiten, den Essen, den Fahrten, den Treffen, den Gesprächen und anderem mehr. Aber immer nur kurz, zumindest für meine Ansprüche, dazu meist in Begleitung und aufgrund des Wetters meist auf befestigten Straßen.
Aber das ist vorerst vorbei. Leider gibt es kein Ritual, gibt es keine Überlieferung die unser Nachdenken und Besinnen, so es überhaupt noch statt findet, auch auf die Natur ausdehnt. Denn gerade zu den Festtagen würde ich mich gerne stärker der Natur zuwenden, als mich so gänzlich von ihr abzuwenden. Die chtistlichen Menschen sind leider sehr mit sich beschäftigt.
Jedenfalls war ich heute wieder im Wald unterwegs, doch weiß ich nicht ob die paar Tage Unterbrechung die Ursache waren, oder ob es einfach an meiner Stimmung lag - ich fühlte mich fremd. Die Natur, der Wald, die Wetterstimmung waren wieder beeindruckend, doch ich habe mich nicht richtig daheim gefühlt. Aber auch nicht zurückgewiesen, es lag nicht an der Natur, obwohl der weiche, matschige Boden, der wolkenbedeckte Himmel, die für Dezember viel zu warmen Temperaturen und das Fehlen von Schnee nach gewöhnlichen Maßstäben keine Märchenlandschaft ergeben. Was mich draußen fasziniert, sind schon lange nicht mehr nur die Äußerlichkeiten, die natürlich auch, so bin ich offen dafür jederzeit das Schöne zu sehen und aufzunehmen, aber nach all den Jahren hat das draußen sein eine eigene, andere Dimension bekommen - daheim zu sein, und da fühlt man sich einfach wohl.
Darum fällt es mir auch besonders unangenehm auf, wenn der Zugang fehlt, oder zumindest nur eingeschränkt gefühlt wird. Es war wohl meine innere Anspannung und die Probleme mit denen ich mich herumschlage, die meine Sinne ablenkten und eine tiefere Kontaktaufnahme verhinderten.
Trotzdem geht es mir jetzt besser und ich freue mich schon auf den morgigen Tag.

Dienstag, Dezember 28, 2004

Dummheit

Ist es Überheblichkeit oder Dummheit, ist es ein Zeichen der Entfremdung oder der Zeit oder beides, ist es Profilierungssucht oder Medienalltag, ist es ein Rückfall in angeblich vergangene Zeiten? Was geht in einem Menschen vor, der nach einer Naturkatastrophe diese mit menschlichen Gewaltakten vergleicht? Flutwelle da, Bombenexplosion dort.
Die Tsunami im Indischen Ozean, ein "Terroranschlag der Natur"...
Terror ist gemein und schlecht. Wie übel muß die Natur sein, wenn sie sich solcher Mittel bedient? Und natürlich müssen wir Menschen "Terroristen" bekämpfen, das heißt, die Natur bekämpfen, gegen sie antreten, sich von ihr nichts gefallen zu lassen, sie in die Knie zwingen, zu siegen und sie zu beherrschen. Bedenke, Natur ist schlecht, nur Menschenwerk ist gut.
Dachten wir nicht schon einmal so?
Oder bin nur ich so dumm, daß ich meinte, die Menschen dächten heute anders?

Montag, Dezember 27, 2004

Der laute Hase

Wir kamen vom Hügelkamm herunter, durch den offenen Altbestand und der Wind blies uns entgegen. Es war kalt und die Schneereste am Boden hatten sich halten können. Die Abenddämmerung hatte schon lange eingesetzt und die Sicht schwand von Minute zu Minute. Doch Carhu kennt ja schon lange alle Wege und wenn es nach Hause geht, läuft sie meist einige Meter voran. Bevor der Weg in die Forststraße einmündet, durchquert er noch einen zwanzig, dreißig Meter breiten Streifen dichten Buchenjungwuchses.
Am Rande dieses Streifens hörte ich trotz des lauten Windes plötzlich links neben mir im Unterholz ein Tier davonspringen. Nur kurz sah ich ein kleines Etwas mit dunklem Fell und einem hellen Fleck am Hinterteil. Bei Rehen nennt man den weißen Fleck am Hintern Spiegel und bei Hasen ist die Unterseite des Schwanzes (der Blume) ebenfalls weiß gefärbt. Es ging alles so schnell, daß ich mir einfach nicht sicher war, ob ich nun einen großen Waldhasen oder aber ein sehr kleines Reh gesehen hatte. Nur ein paar Momente vorher waren mir am schneebedeckten Weg die nur wenige Zentimeter großen, nein kleinen, Trittsiegel eines Rehs aufgefallen.
Carhu war schon vorbei und sie hatte auch nichts mitbekommen. So konnte ich unbesorgt stehen bleiben und horchen. Und tatsächlich, nur einige Meter entfernt waren nun deutlich Geräusche zu hören. Schritte, die jedesmal mit einem leichten Krachen durch die krustige Schneeoberfläche einbrachen. Nun war ich mir sicher, daß es sich um ein Reh handeln mußte. Spitze Hufe brechen nunmal leichter ein, als breite weiche Pfoten. Ich ging vorsichtig den Weg zurück um vielleicht doch noch einmal das vermeintliche Reh zu Gesicht zu bekommen. Und tatsächlich, zwischen den Ästen und Zweigen sah ich "es" noch einmal, das Tier, denn es war ein Hase. Ein schöner, großer Hase, der schwer genug war, durch die Schneedecke zu brechen. Darum flüchtete er wahrscheinlich auch gerade nur so weit, wie es seiner Meinung nach unbedingt sein mußte.
Carhu war durch mein Verhalten aufmerksam geworden und zu mir zurückgekommen. Um den Hasen nicht zu verraten setzte ich meinen Weg fort, auch wenn ich ihn noch gerne etwas beobachtet hätte.

Sonntag, Dezember 26, 2004

Ungewöhnliches Verhalten

Mittlerweile ist es schon wieder ein paar Wochen her. Es ereignete sich beim letzten Ausflug auf meinen Lieblingsberg, der Rax. Aus Zeitmangel, ich war wohl wieder etwas spät aufgebrochen und um den Aufenthalt am Berg länger auskosten zu können, fuhr ich mit der Gondelbahn hinauf. Damit platzt man in eine andere Welt, was mir nicht so gefällt, denn die langsame Annäherung an die Höhenlage durch das Ersteigen fällt weg.
Na gut, ich hatte mich aber dieses Mal anders entschieden und war nach dem Ausstieg auf der Bergstation noch mit mir selbst beschäftigt. So fiel mir zuerst die Gemse, die sich in unmittelbarer Nähe des Gebäudes aufhielt auch nicht auf. Selbst meiner Hündin war das ruhig dastehende Tier nicht aufgefallen. Erst als wir schon vorbei waren und die Gemse langsam weiterzog, nahm ich die Bewegung aus den Augenwinkeln heraus wahr. Patsch, keine zwanzig Meter von mir entfernt und dazu noch zwischen mir und der Bergstation, zog das prächtige Tier ruhig vorbei. Eine athletisch, robuste Erscheinung, schon im dunklen, fast schwarzen Winterfell, mit der eigenartig schwarz-weiß gestreiften Gesichtsmaske, bewegte sich die Gemse bedächtig Richtung Bergwald. Da ich mit meiner Hündin gerne als Letzter aussteige, kamen vom Gebäude auch keine weiteren Menschen daher. Die vorauseilenden Bergwanderer mußten die Gemse wohl alle übersehen haben - oder war ihnen der Anblick einer Gemse zu alltäglich, zu uninteressant? Ich hoffe, daß sie das Tier "nur" übersehen haben.
Meine Hündin hatte ich noch an der Leine, doch das wäre in der Situation gar nicht nötig gewesen. Aufmerksam beobachtete sie das eigenartige Tier, zeigte aber keinerlei Tendenzen die Gemse auch jagen zu wollen. Anscheinend war sie sich selbst noch nicht sicher, was sie von dem Wesen halten sollte.
Ich blieb weiter ruhig stehen, beobachtete und versuchte mir Details einzuprägen. Als erfahrener Tierbeobachter oder Jäger hätten mir natürlich ihr Körperbau oder die Größe der Krickeln (der gebogenen Hörner am Kopf) etwas über Geschlecht und Alter des Tieres aussagen können. Doch Gemsen zählen im Wienerwald nicht zu den erlebbaren Tierarten. Ich glaube, daß es eine ältere Gais (weibliches Tier) war, aber das ist eine Vermutung.
Langsam, ohne ersichtlicher Hektik, zog sie in den Bergwald, blieb immer wieder stehen, blickte (äugte) gelegentlich zu uns und selbst als wir ihr auf dem Weg folgten, ließ sie sich nicht beunruhigen. Der Abstand war mittlerweile etwas größer geworden und ich dachte schon, sie im Bergwald aus den Augen zu verlieren, als die Gemse sich in unsere Richtung drehte und einige Schritte auf uns zu machte.
Wie?
Was war da los?
Die kam zu mir und meinem Hund.
Toll, aber stimmte da etwas nicht?
Es war ja ohnedies ungewöhnlich so ein Wildtier so nahe an der Bergstation vorzufinden.
Die kam immer noch auf uns zu.
War die vielleicht krank, so eine Art Tollwut, wo Wildtiere ihre Scheu vor Menschen verlieren?
Fühlte sie sich von meinem Hund bedroht und wollte ihn verjagen?
Ja, für einen kurzen Moment hatte ich solche Gedanken. Absurd, aber ich hatte sie. Daß die Gemse nun in unsere Richtung kam, wurde meiner Hündin dann doch zu viel. Sie stieg in der Leine auf und ich mußte sie mit etwas Mühe zurückhalten, denn sie fühlte sich wohl zu sehr provoziert, von diesem komischen Tier. Das war dann aber auch für die Gemse das Signal, sich ihrer Rolle zu besinnen, sie machte kehrt und mit ein paar wenigen, eleganten, kraftstrotzenden Sprüngen, jedoch ohne Hektik, entfernte sie sich wieder, verschwand zwischen den Bäumen, hatte uns aber ihre Stärke gezeigt und damit wissen lassen, daß sie sich gut genug fühlte um vor uns keine Angst haben zu müssen.

Über diesen kurzen Moment, als das Wildtier nicht das erwartete, gewohnte Verhalten zeigte und flüchtete, sonder sich uns näherte und meine spontanen Gedanken dazu, denke ich noch oft nach.

Samstag, Dezember 25, 2004

Der Traum der Amsel

Da drüben, an der Wand, da gibt es sie noch. Diese süßen kleinen Trauben des wilden Weins. Die schmecken so gut. An den guten Plätzen, da sind sie schon weg. Die haben alle leicht erreicht. Ich saß doch selbst am Zaunpfahl, oder oben, auf der Laterne und natürlich am schmalen Fensterbrett. Und wenn nicht ich, dann eine andere Amsel, ich bin leider nicht allein.
Doch nun heißt es geschickt sein, sich an einem Trieb irgendwie festzukrallen, zu flattern, aber nicht zu hektisch, sonst erwischt man die kleinen Trauben nicht und bevor man doch runterstürzt schnell wieder wegzufliegen, rüber zu den Sträuchern, zum verschnaufen. Auch tun die Flügel weh und die Federn sind zerzaust, scheuern sie doch an der Wand und immer wieder stößt man dagegen. Wenn nicht die Trauben so gut schmeckten. Und dabei muß man noch zusätzlich aufpassen, daß man nicht doch eine Katze übersieht, die sich anschleicht. Aufgeweckt vom vielen Flattern. Es ist nicht einfach.

Dabei könnte es so schön sein.
Wäre ich nur kleiner, fiele es mir viel leichter meine Flügel schneller zu bewegen. Rasend schnell, rauf und runter, vor und zurück. Und ich schwebte in der Luft, elegant an einer Stelle, mit einer Leichtigkeit ohne mich festklammern zu müssen, einfach weil ich es so wollte und könnte. Dann flöge ich zu dieser Wand, hin zum wilden Wein, ganz dicht, schwebte ruhig in der Luft und suchte mir die besten Trauben aus, egal wo, nur ich alleine und die anderen müßten zusehen. Eine Traube da, eine dort, ach, da hinten sehe ich auch noch welche. Ich hörte erst auf wenn ich satt wäre. Ich glitt an der Mauer entlang und wäre sie noch so glatt, mir wäre es nur recht, was sollte es mich hindern.
Wenn ich könnte wie ich wollte, wäre ich ein Kolibri.

Freitag, Dezember 24, 2004

Über Frauen

Woher kommen Unterschiede? Und wenn, was ist wichtiger, worauf legen wir mehr Augenmerk - auf das was trennt, oder das, was uns allen gemeinsam ist? Sind Frau und Mann grundsätzlich verschieden, sind sie von Natur aus verschieden, oder ist es umgekehrt?
Ich bevorzuge den zweiten Ansatz, den der prinzipiellen Gleichartigkeit mit ein paar natürlichen Abweichungen. Doch trennend kommen die sozio-kulturell bedingten unterschiedlichen Erziehungsweisen wieder hinzu.
So werden Frau und Mann, egal von welcher Seite man/frau sich nähert, nicht gleich gesehen, nicht gleich behandelt und damit ergeben sich einfach Differenzen.
Ein Unterschied, bei dem ich mir schwer tue, ob er natürlich bedingt ist, oder erst durch die Erziehung entsteht, ist die unterschiedliche Beobachtungsgabe von Frauen und Männern.
Es gibt Studien darüber, daß Frauen zum Beispiel Gesichter, beziehungsweise die durch Gesichter ausgedrückten Stimmungen von Personen viel besser erkennen können. Aber auch bei der Beurteilung des Befindens von Kleinkindern aus Mimik, Gestik oder Körperhaltung schneiden Frauen viel besser ab.
Ob dieses bessere Erkennen nun biologisch bedingt ist, oder erst antrainiert wird, tut hier wenig zur Sache. Bemerkenswert ist die Fähigkeit. Und dieses Talent zeigt sich in den letzten Jahren auch im Bereich der Naturwissenschaften, vorallem auf dem Feld der Verhaltensforschung. Es finden sich mehr und mehr Frauen im einst männlich dominierten Bereich der Feldforschung von anderen Lebewesen ein und ihre Studien räumen vielfach mit althergebrachten Zuschreibungen auf. Gerade wenn es darum geht, feine Unterschiede festzuhalten. Ob die das Aussehen betreffen oder die Verhaltensweisen, der weibliche Erkennungsraster scheint feiner zu sein.
Hinzu kommt, daß mit der steigenden Zahl von Verhaltensforscherinnen auch verstärkt weibliche Lebensaspekte bei der Beurteilung von Verhaltensweisen oder Interaktionen berücksichtigt werden. Denn bisher lag auch in der Wissenschaft der männliche Blickwinkel allem zugrunde. Ob bei der Beurteilung von Hierarchien, oder von täglichen Verhaltensabläufen, ob bei der Bewertung von Bedürfnissen, oder der Einschätzung von Konflikten - männlich geprägte Überlegungen bildeten die selbstverständliche Basis.
Damit haben wir aber den viel weniger kulturell geprägten Tieren keinen guten Dienst erwiesen und es hat unserem Verständnis nicht wirklich weitergeholfen. Es ergibt sich nun eine neue Chance alte Zuschreibungen und Vorurteile über Bord zu werfen und Tiere in ihrer "tierischen" Gesamtheit besser verstehen zu lernen.

Donnerstag, Dezember 23, 2004

Das Landgasthaus

Ich traf mich mit meinen Brüdern in einem Gasthaus im Prater, einem Erholungsgebiet mitten in der Stadt. Dieses Gasthaus steht am Rande des Vergnügungsparks, wo die Karusselle und Hochschaubahnen aufhören und die parkähnlichen Grünflächen beginnen. Nur gibt es rundherum noch Straßen und Parkplätze und selbst der Schienenstrang einer Liliputbahn führt daran vorbei. Doch gibt es in der Umgebung keine Geschäfte, die in der Vorweihnachtszeit die Massen anlocken und so herrschte eine ungewöhnliche Ruhe, kaum Autoverkehr, keine flanierenden Fußgänger und wohl deswegen hatten die meisten Schaubuden auch geschlossen.
Das Gasthaus und die Wege im Biergarten waren dezent weihnachtlich beleuchtet und in den Räumlichkeiten der Wirtschaft herrschte kaum Betrieb. Durch die großen Fensterscheiben sah man die schwach angestrahlten Bäume, doch verlor sich alles nach wenigen Metern in friedlicher Dunkelheit.
Einem meiner Brüder gefiel die Stimmung so gut, daß er meinte, sich in einem echten Landgasthaus zu fühlen.
Das fand ich einerseits schön, diese Vorstellung eines Gasthauses am Land, umgeben von Wiesen und Wäldern, andererseits war ich auch ein wenig baff, war die Umgebung doch unverkennbar städtisch geprägt, auch wenn es an diesem frühen Abend ausgesprochen ruhig zuging. So drängte sich der Gedanke auf, wie wenig Natur der heutige Mensch braucht, um sich einer Illusion hingeben zu können. Wie wenige Naturreste vorhanden sein müssen, um mit wirklicher Natur verwechselt zu werden. So reichen ein paar wenige Behübschungen um künstliche, vom Menschen geschaffene Systeme für natürliche zu halten. Wir lassen uns aus Unkenntnis schon sehr, sehr leicht täuschen.

Mittwoch, Dezember 22, 2004

Kampfschrift

Es gibt Tage, da sieht man keinerlei Sinn im eigenen Kampf für eine lebenswerte Umwelt. Da denkt man sich, je schneller alles zu Grunde gerichtet ist, desto besser.
Dann ist diese herrliche Erde endlich vom schlimmsten Übel befreit, daß es je bevölkert hat - dem westlichen Zivilisationsmenschen. Es gibt keinen Winkel mehr, in den er nicht mit seiner Ideologie und Propaganda vorgedrungen ist und sich gewaltsam das holt, was er für seinen sinnlosen Konsum braucht.
Warum gegen die Umweltverschmutzung ankämpfen, warum die Schäden in Grenzen halten? Damit das System länger am Leben erhalten wird? Wir wollen doch konsumieren, ist das nicht schon längst unser Hauptlebenszweck. Dinge erwerben, je sinnloser und überflüssiger, umso besser. Und danach wegwerfen! Weg mit all den Gütern die zwar noch klaglos funktionieren, aber einfach nicht mehr trendig sind. Nur "neu" ist gut und "mehr" ist gut und vorallem "haben", egal was, das ist das beste.
Warum Wildnis erhalten und nicht ausbeuten? Solange es etwas zu holen gibt - her damit! Wir können nicht genug bekommen und den Preis den wir zahlen, den blenden wir einfach aus. Warum Atomenergie und genmanipulierte Lebensmittel verhindern wollen? Vielleicht helfen diese Technologien ja wirklich die Probleme der Menschheit und dieses Erdballs zu lösen - wenn auch auf eine ganz andere Art.
Warum Tiere schützen, wer braucht die? Und noch dazu in freier Natur, wo sie ohnedies niemand sieht. Ein paar Zoos, und sie Sache ist erledigt und auch viel praktischer.
Wäre der Natur nicht geholfen, wenn möglichst schnell alles zugrunde ginge? Pflanzen und Tiere würden wir zwar mit in unser Verderben reißen, doch das tun wir ohnehin schon. Ist das Leid, das die Menschheit über Millionen von Tieren bringt nicht schlimm genug. Ob Pelztierfarmen oder Geflügelmast, ob Tiergehege oder Schweinezuchtbetriebe, egal, die Kreatur dient dem Menschen zur Unterhaltung oder zum Konsum, als Statussymbol oder als Zeitvertreib. Der Respekt ist verloren gegangen und das Leid, das wir verursachen, das können wir uns nicht ansehen, daran wollen wir auch gar nicht denken, das darf nicht gezeigt werden, es könnte uns ja den Apptetit verderben.
Die Naturkräfte wären stark genug, um wieder neues Leben entstehen zu lassen, dann ohne Menschen und vielleicht gelänge der Entwurf dann besser.

Dienstag, Dezember 21, 2004

Seltene Wintergäste

Von den Rabenvögeln kommen im Wienerwald nur wenige vor. Das täuscht vorallem im Winter, wenn die vielen Saatkrähen unsere direkten Nachbarn werden. Denn nur die offenen Gartenflächen beziehungsweise die offenen Wiesen und Felder ziehen sie an. Im Wald sucht man sie vergebens. Ein sehr ähnliches Aufenthaltsgebiet haben auch die wenigen, ständig hier lebenden Aaskrähen, auch sie bevorzugen die offenen Flächen und die Waldränder. Elstern fehlen völlig, denn ihnen sind die paar offenen Flächen, die von riesigen Waldgebieten umschlossen sind, viel zu wenig. So bleibt als einziger wirklicher Waldbewohner der Eichelhäher.
Und dann gibt es noch gelegentlich im Winter Gäste, deren Rufe ich so gerne höre. Raben. Sie sind viel scheuer, bleiben in entlegeneren Waldgebieten und müsen sie bewohntes Gebiet überfliegen, dann tun sie es in größerer Höhe. Aber zum Glück können sie ihren Schnabel nicht halten, und so verraten ihre Laute ihre Anwesenheit.
Ich hatte wieder einmal mein Fernglas dabei, als ich vom entfernteren Troppberg, auf dem eine Aussichtswarte steht, ihre Rufe hörte. Die Warte war ohnehin mein Ziel gewesen und so hoffte ich, im Schutz des Waldes mich unbemerkt annähern zu können. Bis ich bei der Warte angekommen war, war von den Raben nichts mehr zu hören. Etwas enttäuscht erstieg ich das Metallgerüst der Warte. Sie ist sehr filigran ausgeführt. Eine offene Metallkonstruktion, einem Bohrturm gleich, bildet den tragenden Innenteil, auf dem an Stahlseilen hängend eine Art viereckige Wendeltreppe, nur aus Metallgittern bestehend, zur Aussichtsplattform führt. Auf ihr befindet man sich gerade über den Baumwipfeln und hat eine herrliche Aussicht nach allen Seiten.
Auf der Plattform ist man natürlich sehr exponiert, doch das erhöht ihren Reiz nur. Es ist herrlich direkt dem starken Wind ausgesetzt zu sein und einmal von oben auf das wogende Meer der Baumwipfel herabsehen zu können. Und die filigrane, offene Konstruktion verstärkt das Gefühl, sich in den Baumkronen zu befinden, denn der Blick kann fast ungehindert in alle Richtungen, selbst nach unten, schweifen.
Dort oben angelangt, konnte ich die Raben wieder hören, sie waren noch in der Nähe. Irgendwo in den Bäumen des in den Höbersbachgraben abfallenden Abhangs. Aber die schwarzen Vögel vor dem dunklen, wirren Hintergrund des Waldes ausfindig zu machen gelang mir nur kurz. Na wenigstens konnte ich sie hören.
Später, nachdem ich kurz bei meinem Hund am Fuße des Aussichtsturmes gewesen war, hatte ich die Raben vergessen und gedankenverloren fiel mir auf, daß meine Schuhe schneeüberzogen waren. Ich trat mit beiden Beinen heftig gegen das Gitter, um den Schnee abzuschütteln und mit dem Krachen durchfuhr es mich, daß ich mit dem Lärm nun wohl alle Tiere gewarnt und vertrieben hätte. Und wirklich, sah ich im Tal die Raben auffliegen, doch sie flogen nicht weg sondern kamen zur Warte geflogen. Auf zwei Fichten in der Nähe ließen sie sich nieder. Es war ein Rabenpaar und mit meinem Fernglas konnte ich sie deutlich und groß sehen und in Ruhe betrachten.
Zwei schöne schwarz-glänzende Vögel, mit ihren charakteristischen dunklen großen Schnäbeln, die offensichtlich sehr neugierig waren. Ich weiß nicht, ob es bloßes Interesse war, oder eher die Aussicht auf Futter, jedenfalls waren sie da und diese großen schönen Vögel so nahe zu sehen war etwas ganz besonderes. Leider kam jemand den Turm heraufgelaufen, das natürlich nicht geräuschlos. Ich war abgelenkt, wechselte ein paar Worte und als ich mich wieder nach den Raben umschaute, waren sie davongeflogen. Das war ihnen dann offensichtlich doch zu viel an fremdartigen Geräuschen.
Danach, selbst als ich schon wieder alleine auf der Plattform stand, sah und hörte ich sie leider nicht mehr. Nur ein Specht stieß seine klagenden Laute aus, die ich wie üblich zuerst mit denen eines Bussards verwechselte.

Montag, Dezember 20, 2004

Unsichtbare Ferne

Nachdem die Temperatur deutlich gefallen ist und zusätzlich noch ein kräftiger Nordwind geholfen hat, ist der Hochnebel verschwunden, aber leider auch der schöne Reifbehang der Bäume, der Himmel ist aufgeklart, und wärmt tagsüber die Sonne, so funkeln des Nachts die Sterne und der zunehmende Mond beleuchtet die Landschaft. Die Luft ist rein und klar und mit den blattlosen Zweigen der Bäume ergeben sich jetzt Aus-, Durch- und Fernblicke, die während des restlichen Jahres nicht möglich sind. Obwohl Wälder die Hügel bedecken, ist die Umgebung offen geworden, zeigt sich zwischen den Bäumen hindurch der Horizont, reiht sich ein Hügelkamm an den nächsten und die Größe und Weite des Wienerwaldes wird sichtbar.
Auf freien Hügelkuppen muß man sich heute schon klug hinstellen, um sich die Spuren menschlicher Eingriffe in diese Waldlandschaft von den Bäumen verdecken zu lassen, doch wenn man es gut anstellt, sieht man kilometerweit in alle Richtungen nur wogende Wälder und mit ein bißchen Phantasie kann man sich in eine andere, weniger vom Menschen beeinflußte Zeit zurückversetzen, als die Wege noch schmal und mühsam waren und die Ansiedlungen noch nicht diese ausufernden Dimensionen angenommen hatten, als der Wald noch nicht all seine Urwüchsigkeit eingebüßt hatte und noch Wölfe und Bären darin umherstreiften. Schwer vorstellbar, bei all den ausgebauten Straßen, den vielen Siedlungen die jedes Tal erfaßt haben, der zerschneidenden Auto- und Eisenbahntrasse, den Steinbrüchen und all den anderen Zeugen steigender menschlicher Ansprüche.
Aber das blenden wir einmal bewußt aus und lassen den Blick über all die Hügel und Höhenzüge streifen. Immer wieder wird der Wald von Wiesenflächen aufgelockert und wenn wir an die Zeit zurückdenken, als es noch große Pflanzenfresser gegeben hat, wie Auerochse, Wisent und Wildpferd, so ist die Vorstellung eines einheitlich bewaldeten Geländes sowieso abwegig. Tiere greifen nun mal mit ihrem Verhalten, mit ihren Äsungsgewohnheiten auch gestalterisch in die Vegetationsentwicklung ein und die Pflanzen haben sich längst daran angepaßt. Erst der heutige Mensch spricht dabei von Schäden, von Schäl- und Verbißschäden und macht Hirsche und Rehe verantwortlich.
Aber das führt in eine andere Richtung.
Wenn der Blick weiterschweift, endet er gewöhnlich im fernen Dunst, wo sich die Formen und Konturen auflösen und ineinander übergehen, so in etwa zwanzig, dreißig Kilometern Entfernung, je nach Jahreszeit. Alles was sich dahinter verbirgt, bleibt für gewöhnlich unsichtbar.
An einem der wenigen klaren Wintertage, so wie es heute einer war, tauchen aber am Horizont plötzlich Berge auf. Die letzten um die 2000 Meter hohen Ausläufer der Alpen. Im Südwesten, etwa sechzig Kilometer Luftlinie entfernt, breit über dem Horizont thronend, das mächtige Kalksteinmassiv des Schneeberges, klar in seinen Umrissen, daß man die Bergstation der Zahnradbahn mit der Elisabethkapelle zu erkennen meint und im Westen, weiter nördlich und auch weiter entfernt, so um die achtzig Kilometer, der seine Umgebung deutlich überragende Ötscher. Da man nicht seine volle Breitseite sieht, ist der Ausblick auf den in Ost-West-Richtung verlaufenden Kamm nicht ganz so beeindruckend, auch wenn man auf den bergsteigerisch schwierigeren "Rauhen Kamm" blickt. Jedenfalls ist er mit fast 2000 Meter deutlich höher als seine Nachbarberge, die er um mindestens zwei-, dreihundert Meter überragt und damit leicht und deutlich zu erkennen ist.
Die Fernsicht reicht noch weiter und Eingeweihten erschließen sich noch viele andere Gipfel, doch die beiden beschriebenen Berge sind die Markpunkte der Landschaft, sind sie nicht zu sehen, bleiben auch die anderen Gipfel in der unsichtbaren Ferne verborgen, erscheinen sie, weiß man, welche Jahreszeit gerade herrscht.

Sonntag, Dezember 19, 2004

Frischer Schnee am Abend

Die letzten Flocken fielen zwar schon als ich aufbrach, doch ich mußte einfach noch einmal raus. Wenn eine frische unberührte Schneedecke über allem liegt, die Autos stehen gelassen werden, ist es endlich ruhig und bezaubernd. Egal wie spät es dann ist, dann muß ich einfach raus, muß noch ein wenig herumgehen, muß einfach draußen sein, denn den frischen Schneezauber kann man nicht vom Fenster aus erleben und genießen.
Wie vor Jahren, um zwei Uhr früh, oder spät, je nach Sichtweise, raus in das frisch verschneite Wien. So menschen- aber vorallem autoleer habe ich die Stadt nie wieder erlebt. Ich konnte mitten auf Straßen gehn, wo sich sonst die Autos Stoßstange an Stoßstange dahinbewegen.
Die Stille war für eine Großstadt einmalig und erhielt ihre Wirkung einerseits durch das Fehlen des gewöhnten Verkehrslärmes, andererseits aber einfach auch aus dem Wegfall von Bewegung. Nur mehr starre Strukturen - Straßen, Plätze, Häuser, Bäume, Laternen. Und dazu kam noch das besondere Licht. Der frische und damit noch weiße Schnee, der das Licht der Straßenbeleuchtung wieder nach oben reflektierte, dazu das vorherrschende Weiß, ließen Straßen, Plätze aber auch Dächer zart erstrahlen. So ergaben die Sinneseindrücke ein merkwürdig fremdes Bild dieser gewohnten Stadt.
Schon mit dem beginnenden Frühverkehr war der Zauber dahin, aus beruhigender Stille wurde treibende Hektik, aus weißem Schnee brauner Matsch.
Am Land sind die Eindrücke natürlich etwas anders, obwohl der Zauber der frischen, unberührten, weißen Schneedecke beiden gemein ist. Der Straßenlärm ist hier sowieso ab einer gewissen Uhrzeit nicht mehr das Problem und das Strahlen des Schnees, daß von den vielen künstlichen Lichtquellen hervorgerufen wird, hält sich mangels Anzahl in Grenzen. Doch die Schneedecke wird zum Buch des Lebens, der Offenbarung. Geht man in einer normalen Nacht noch raus, fühlt man sich alleine, geht einsam über Straßen und Wege. Aber das ist ja nie der Fall. Die Nacht ist voller Leben, man bemerkt es meist nur nicht. Doch der Schnee ist verräterisch und hält jede Bewegung eines Lebewesens und sei es als noch so zarte Spur fest.
Nicht jede Spur ist zart, auch andere Leute sind gelegentlich mit ihrem Hund noch spät unterwegs. Doch selbst deren Spuren erzählen etwas. Ob es ein großer oder kleiner Hund war, ob eine Frau oder ein Mann den Hund begleiteten, woher sie kamen, wohin sie gingen, je nach Zustand des Abdrucks, wie lange es her war, daß sie gegangen waren.
Interessant finde ich die vielen Katzenspuren, zeigen sie plötzlich Wege und weisen auf Schlupflöcher in Zäunen und Mauern, oder zeigen die Zielstrebigkeit der Samtpfoten. Eine dürfte vom Schnee, vom feuchten, kalten Schnee, doch ziemlich verunsichert worden sein, denn ihre Spur führte gerade von einer Haustür weg, zwei, drei Meter, um sich in einem wirren Zickzack aufzulösen und erst danach schnurstracks auf das nächste Gartentor zuzulaufen.
Eine Hasenspur ist mir am Ende des Spazierganges noch aufgefallen, denn die war relativ weit innerhalb des verbauten Gebietes und da habe ich sie mir nicht erwartet.

Samstag, Dezember 18, 2004

Suche

Die Tiere sind verschwunden.
Zumindest ich begegne ihnen nicht mehr.
Ich gehe noch immer die gleichen Wege und benutze die vertrauten Pfade und an der Abenddämmerung hat sich nur eines verändert - daß sie früher anbricht. Doch sind mir noch im frühen Herbst bei jedem Spaziergang Tiere begegnet, so suche ich sie schon seit Tagen erfolglos.
Natürlich hat sich über die Wochen manches im Wald verändert. Die nahrungsreiche Zeit des Herbstes ist vorbei und mit den sinkenden Temperaturen ist das Überleben wesentlich härter geworden. Darum sind die schützenden Einstände für das Wild beliebter und wichtiger. Auch ist die Jagdzeit in vollem Gange und trägt natürlich ganz gewaltig zur Beunruhigung der Tiere bei. So ist es nicht schwer zu wissen, wo sich die Tiere aufhalten, doch will ich sie dort im dichten Unterholz nicht aufstöbern und damit aufschrecken und zusätzlich beunruhigen. Denn die Tiere sind natürlich noch da, nur hat sich eben ihr Lebensrhythmus den veränderten Umweltgegebenheiten angepaßt.
So ziehe ich weiter durch den Wald und schaue und blicke genau, damit mir nur ja keine Bewegung entgeht. Und irgendwann werde ich sie wieder sehen und mich an ihrer Gegenwart erfreuen.

Freitag, Dezember 17, 2004

Harte Wege

Seit einigen Tagen steigt die Temperatur auch tagsüber kaum mehr über den Gefrierpunkt und weht der Wind, schafft sie nicht einmal das. Dadurch ist nun selbst der Boden gefroren. Am See, am Teich hat sich schon länger eine Eisdecke bilden und wachsen können und auf Regenlacken braucht man schon länger nicht mehr achtzugeben. Zumindest nicht, daß man sich nasse Füße holt.
Die Feuchtigkeit des Herbstes hatte das Gehen mühsam gemacht. Morastig weich waren Steige und Pfade, glatt und rutschig die lehmigen Böden und unter dem Laub verbarg sich manche Schlammmulde. Matsch auf allen Wegen. Sank man mit den Schuhen ein, war es bereits zu spät. So bin ich lieber auf den Forststraßen geblieben, zumindest dort, wo sie die großen Maschinen nicht aufgewühlt hatten.
Das ist nun vorbei. Unter den Sohlen knirscht und kracht es wieder. Der Boden ist fest und hart und damit sind wieder alle Wege und Pfade offen, die ich bis vor einigen Tagen noch gemieden habe. Die Härte des Lebens in der Natur drückt sich jetzt auch in der Härte des Bodens aus. Der Spätherbst, wenn alle Beeren und Nüsse bereits verzehrt und alle Pilze gesammelt sind, ist auch keine leichte Jahreszei mehrt. Dazu die ständige, kalte, in alle Ritzen dringende Feuchtigkeit, vor der man sich nur schwer schützen kann.
Später dann, wenn es wirklich kalt geworden ist, ist die schwerste Zeit angebrochen. Doch dann ist die Feuchtigkeit verschwunden, erstarrt und mit der trockenen Kälte komme ich viel besser zurecht. Ich genieße sie sogar. So freue ich mich über das Knirschen meiner Schuhe auf dem gefrorenen Boden, gehe wieder wohin es mich gerade freut und warte ich noch ein paar Tage, stellt selbst der See kein Hindernis mehr dar.

Donnerstag, Dezember 16, 2004

Naturgeist

Der Herbst ist so gut wie vorüber. Mit dem gefrierenden Eisregen und dem schon seit Tagen vorhandenen Rauhreif, schaut die Landschaft ohnedies nicht mehr herbstlich sondern schon ganz schön winterlich aus. Außerdem beginnt für mich, im Gegensatz zu den Meteorologen, aber die betrachten ohnehin lieber Karten und Grafiken, also für mich beginnt der Winter mit dem ersten Dezember. Aber der Winteranfang ist gar nicht wichtig. Es geht um einen spätherbstlichen Tag, an dem ich etwas Besonderes erlebt habe. Doch was heißt erlebt, ist mir viel eher etwas bewußt geworden. Nur richtig bewußt ist es mir bis heute nicht, denn der Prozeß dauert immer noch an. Aber an diesem Tag hat es begonnen.
Warum komme ich gerade heute darauf? Weil mich das, nun schon zu viele Tage andauernde trübe Wetter, doch, im wahrsten Sinne des Wortes, trübsinnig werden läßt. Und gerade dieser Unterschied meiner Gefühle, der in einer kurzen Beschreibung jedoch von Leuten, denen ich es erzähle, oft verwechselt wird, läßt mich wieder stärker an jenen Tag denken, denn es ist sehr wichtig.
Es war ein durchwachsener Herbsttag und das schlechter werdende Wetter hielt mich davon ab, einen Berg zu besteigen, der bis heute auf meiner Liste steht. So blieb ich im Tal und streifte am Flußufer entlang. Doch das Wetter wurde nicht richtig schlecht und der Reiz, hinauf in die Berge zu kommen war immer noch da. Spät am Nachmittag fuhr ich dann, gegen alle Vernunft auf ein tolles Bergerlebnis, trotzdem die Paßstraße hinauf. Für eine Gipfelbesteigung war es mittlerweile zu spät, doch um in der Latschenregion herumzuzigeunern reichte das Tageslicht allemal. Ein Hubschrauber, der Teile einer Lawinenverbauung auf den gegenüberliegenden Berghang flog trübte meine Freude erheblich, also sah ich zu, möglichst schnell den nächsten Grat zu überwinden, um im dainterliegenden Tal endlich die Bergwelt so genießen zu können, wie ich es bevorzuge.
Doch zwischen Latschen geht es sich nicht so gut, darum kam ich nur mühsam vorwärts und trotz der Meereshöhe war die Sonne schon am Verschwinden. Meine Stimmung schwand ebenfalls und ich dachte schon ans Umkehren, als ich doch noch einen alten Pfad, mehr einen Wildwechsel, ausfindig machte, der mich endlich über den Grat führte.
Müde und nicht mehr allzu hoffnungsfroh gestimmt, blickte ich in das kleine Tal. Mächtige Felsblöcke bedeckten die Flanken und dazwischen mühten sich die Latschen ab, um aus dem bißchen Erde Leben zu schöpfen. Ich blickte und horchte.
Nichts.
Die Sonne war nun untergegangen und das schwindende Licht begann den Schatten des Bergrückens in zunehmende Dunkelheit aufzulösen. Ich schaute und lauschte, hielt meinen Atem an.
Nichts.
Kein Laut, kein Zwitschern, nirgendwo eine Bewegung, nichts regete sich, nicht einmal ein Windhauch.
Nur Stille und Felsen.
Das Tal, der Himmel, die Dämmerung.
Entschwindendes Licht und keine Spur von Lebewesen.
Keine Tiere, keine Menschen und doch war das Tal voller Leben, war in Bewegung und veränderte sich, pulsierte nach einem ganz eigenen Rhythmus, in dem Jahre keine Rolle spielten, das in anderen Zeithorizonten dachte und sich erinnerte, das von anderen Zyklen geprägt war, das sich von tierischen und menschlichen Eingriffen nicht beirren ließ. Eine Lebenskraft die so viel ursprünglicher und beständiger ist, als es menschlicher Vorstellung zugänglich ist, aber auch eine Kraft, die so viel gewaltiger und unerbittlicher ist in ihren Konsequenzen, die auf menschliche, auf tierische Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt, sich aber auch nicht beeinflussen läßt. Leben definiert sie anders.

Ich war davor und auch danach, nie wieder so beeindruckt, mir meiner Nichtigkeit bewußt, aber auch voller Zuversicht, denn als Teil des Lebens war ich auch ein Teil dieses Etwas - ich bezeichne es jedenfalls als Naturgeist. Vielleicht war es "nur" der Geist der Berge, aber ich glaube, daß es der Geist der Natur war - der Geist, der Allem innewohnt, der Steine und Felsen, der Berge, des Regens, der Sonne, der Nacht, des Frostes, des Windes, des Schnees, des Winters, des Himmels, der Sterne und auch mir. Als winziger Teil fühlt man sich absolut nichtig und das stimmt zuerst hilflos und traurig, bis man versteht, daß man selbst ein Teil von Allem ist und Alles auch ein Teil von Einem selbst ist.

P.S:
Die Lakote kennen "mitak oyasin"
und in Europa erkannte schon Heraklit "panta rhei"

Mittwoch, Dezember 15, 2004

Eine kleine Vogelkunde

Wir leben angeblich in einer Zeit der Informationsflut.
Vielleicht werden wir sogar von Informationen überflutet, doch unser Wissen nimmt beständig ab. Auf mehreren Weltkarten wurde einmal das jeweilige geographische Wissen unterschiedlicher Epochen dargestellt. Zu meiner großen Überraschung nahm das Wissen über die Welt nicht beständig zu, sondern es gab auch Zeiten, wo offensichtlich Wissen verloren gegangen war.
Was die Natur betrifft, ihre Vorgänge und Zusammenhänge, aber natürlich auch ihre Bewohner, ist unser Wissen sicherlich schon seit langer Zeit rückläufig. Und was wir nicht kennen, geht uns natürlich auch nicht ab. Wie sollten wir auch Unbekanntes schützen können, wenn wir nicht einmal von dessen Existenz wissen.
Der Nationalpark Neusiedler See-Seewinkel führt in seiner Liste der nachgewiesenen Arten 329 verschiedene Vogelarten an. Eine beachtenswerte Zahl, denn meine Vogelhäuschen werden von gerade 19 Arten besucht und generell stehen in meiner Liste der bewußt beobachteten Vögel etwa 66 Arten. Gesehen habe ich sicher schon mehr, nur konnte ich entweder nicht erkennen was ich da beobachtete, oder ich kannte die Vogelart einfach nicht, oder mir war gar nicht bewußt was ich da zu sehen bekam.
Automarken kenne ich hingegen alle, und bei vielen auch die jeweiligen Modelle. Das ist ja keine Kunst, steht doch der Name und die Bezeichnung meist am Heck des Fahrzeuges. Mein Bruder hat mir stolz erzählt, daß seine kleine, vierjährige Tochter schon fünf Automarken kennt. Doch meine Frage: "Und wieviele Baumarten kennt sie schon?" blieb unbeantwortet.
Bei einem Ausflug in den Nationalpark Donauauen sah ich auf weite Distanz einen großen Vogel wegfliegen. Die Art und Weise des Flügelschlages, die Umrisse und die Spannweite der Flügel, all diese kurzen Eindrücke ergaben für mich eindeutig das Wissen einen Raubvogel gesehen zu haben. Da mir in der Größe vorallem Bussarde geläufig sind, dachte ich mir eben, wieder einmal einen Mäusebussard gesehen zu haben. Erst später erfuhr ich, daß der Nationalpark eine große Kolonie Schwarzmilane beherbergt. Die sind ebenfalls bussardgroß, und man muß schon auf bestimmte Details (wie die Stoßfedern) achten, um sie als Milane erkennnen zu können. Nur das habe ich nicht und so weiß ich nicht, habe ich nun einen Mäusebussard oder einen Schwarzmilan gesehen.
Das ist letztlich nicht weiter wichtig, doch zeigt diese Geschichte, daß man nur sieht, was man kennt. Und wenn man nur wenig sieht, heißt das noch lange nicht, daß nur wenig vorhanden ist. Wir kennen halt nur wenig und viele Pflanzen und Tiere gehen dadurch unbemerkt an uns vorbei. So stellt sich die Frage, ob wir die noch vorhande Reichhaltigkeit der Natur zu schätzen wissen, bezeihungsweise, ob uns heutigen Durchschnittsmenschen die Artenarmut vieler Gegenden bewußt wird und wir uns deswegen Sorgen machen?

Dienstag, Dezember 14, 2004

Adventschmuck (3. Advent)

Die Einkaufsstraßen sind es schon lange, aber auch viele Häuser und wahrscheinlich noch mehr Wohnungen sind weihnachtlich herausgeputzt. Nun ja, kein Wunder in der Adventzeit, ist der dritte Adventsonntag doch schon hinter uns und bis zum Heiligen Abend sind es gerade noch zehn Tage.
Nicht, daß ich der Natur eine Absicht unterstelle, oder sie gar verdächtige, uns Menschen nachzuahmen, doch es trifft sich gerade so gut - nun hat sich auch der Wald geschmückt, und wie. Ein kleines Wunderland ist entstanden und würde ich zwischen den Bäumen auch noch Rehe erblicken, müßte ich glauben, daß es sich um ein Märchenland handelt und es nur mehr eine Frage der Zeit ist, bis ich auch Feen und Kobolde erblickte.
Ich habe das erste Auftreten des Rauhreifes bereits beschrieben, aber nun sind über die Tage die Eiskristalle an den Zweigen und Ästen, an den Gräsern und Halmen, an den Blättern und Erdkrumen gewachsen, stetig mehr und mehr geworden und in einer solchen Vielzahl vorhanden, daß sie zu schwer geworden sind, herabrieseln und an manchen Orten den Boden schon weiß bedecken. Das ist nicht mehr Reif, das ist nur mehr Zauber.
Sitze ich in meinem Schreibzimmer und blicke hinaus, in den durch den Hochnebel grauen Tag, wünsche ich mir, an einem anderen Ort zu sein, oder zumindest wieder einmal einen sonnigen Tag zu erleben, um mich wieder an etwas erfreuen zu können. Doch selbst die um diese Jahreszeit schwache Sonne würde mit ihrer Wärme den Reif sofort wegtauen. Damit der Wald so verzaubert sein kann, ist es geradezu nötig, daß sie sich für ein paar Tage zurückhält. Und gehe ich hinaus bin ich damit doch an einem anderen Ort. So bekommt man den Wald nur selten zu sehen. Der Hochnebel schränkt zwar die Sicht ein, am nächsten Hügelkamm ist die Fernsicht schon wieder zu Ende, doch die Luft daunter ist klar und so ist die umgebende Nähe deutlich zu sehen. Auch sind alle feinen Strukturen nun dick weiß nachgezeichnet und man sieht an den Bäumen jeden Trieb, jede Knospe, selbst in luftiger Höhe. Der Waldrand ist wie von riesigen, staubbesetzten Spinnweben verhangen, als ob es ein wahrlich uralter Wald wäre. Und geht man zwischen den Bäumen dahin bemerkt man einen Effekt, wie bei einem Schwarz/Weiß-Negativ. Da die Stämme dunkel geblieben sind, zeichnen sich nun die weiß gewordenen Zweige besonders deutlich ab. Und genau diese weiße Zier ist es auch, die die freie Sicht in den Bestand hinein nimmt - so bleibt alles nah und heimelig.
Noch etwas bewirkt der dicke Rauhreif. Streift der Wind über die Bäume, reicht diese Bewegung aus, um die kleinen Eiskristalle rieseln zu lassen. So wird jede leichte Windböe deutlich hörbar. Wie ein zartes Rauschen fängt es entfernt an, kommt näher, wird lauter und plötzlich wird man in einen zerbrechlichen Schauer gehüllt, doch nur kurz, dann ist es wieder vorbei und das Rauschen entfernt sich, wird leiser und verstummt. Ein anderer Windhauch zieht nur in der Nähe vorbei, dann ist es wieder leise, bis ein weiterer Windstoß eine neuerliche Rieselwolke durch den Wald ziehen läßt.

Montag, Dezember 13, 2004

Der tägliche Spaziergang

Der tägliche Spaziergang nervt manchmal, wenn man das Gefühl hat, gerade erst alle möglichen Wege abgegangen zu sein. So streunen wir dann manchmal ziellos im Wald herum; zick-zack, wie Hasen, mal hierhin, mal dorthin.
Doch heute zog mich ein Ort an, an dem ich schon länger nicht mehr gewesen war. Es war eine kleine hölzerne Plattform, etwa einen Meter im Quadrat, auf ebenfalls etwa einen Meter hohen Stehern. Ich habe keine Ahnung wozu diese Plattform einmal gedient hat. Wäre es ein Hochsitz gewesen, hätte man ihn entweder komplett abgebaut oder ganz verfallen gelassen. Egal, diese Plattform befindet sich jedenfalls mitten im Wald, in ihrer Nähe gibt es keinen Weg oder Steig, sie steht am Rande eines Altbestandes zu einer kleinen Naturverjüngung und bin ich in ihrer Nähe, suche ich sie gerne auf. Dann lege ich mich auf das warme Holz, schaue den Stämmen entlang zu den Baumkronen hinauf, beobachte deren leichte Bewegungen, höre die Geräusche des Waldes und lasse meine Gedanken schweifen.
Mächtige Bäume, Rotbuchen, um die dreißig Meter hoch, jetzt laubfrei, so gleitet mein Blick den Stamm hinauf, dann den starken Ästen entlang bis zu den feinsten Zweigen. Jeder Kronenbereich ist vom anderen deutlich abgesetzt und durch einen schmalen Streifen getrennt. Die obersten Äste und Zweige sind meistens in Bewegung, denn schon leichte Windstöße wiegen sie hin und her. Nur bei starkem Wind bewegen sich auch die Stämme und man ahnt, welche Kräfte dann wirken. Im Herbst liege ich dort, und von oben fallen beständig die belb-roten Blätter herab. Hin und wieder huschen ein paar Meisen oder Finken durch die Äste und gelegentlich bekommt man auch einen Buntspecht zu sehen. Manchmal ziehen Wolken über den Himmel und ihre Bewegung läßt sich dann im Kontrast zu den Ästen gut verfolgen, meist bin ich jedoch dort wenn die Sonne scheintund mich ihre Strahlen wärmen, doch auch die ersten, aus dem Nichts fallenden Regentropfen, habe ich dort schon erlebt.

Sonntag, Dezember 12, 2004

Rauhreif

Heuer war die Zeit schon reif für ihn. Es ist Mitte Dezember, und bisher war er kaum in Erscheinung getreten. Doch seit letzter Nacht ist der Wald, sind alle Baumwipfel vom Rauhreif überzogen. Wie das Gegenstück zu einer japanischen Tuschezeichnung, schwarze Tusche auf weißem Papier, sind nun alle Umrisse und nur die, weiß, auf dunklem Hintergrund, nachgezeichnet.
Die Temperatur ist ständig gesunken und damit die Luft so weit abgekühlt, daß der über der Gegend hängende Nebel an den Ästen kondensiert und gefroren ist. Kleine filigrane weiße Eiskristalle schmücken jeden Zweig aber auch jeden Buckel und jeden Riß der Rinde. Nadeln die noch nicht abgefallen sind, sind weiße Doppelgänger gewachsen und Zapfen haben weiße Schatten bekommen.
So waren bisher die am Boden liegenden Blätter nur als sich wenig unterscheidende Farbflecken in der Masse des Laubes in Erscheinung getreten, doch nun haben sie ihre Individualität noch einmal zurückbekommen. Jeder Blattrand, jede Spitze, aber auch jede Blattader und jeder Stiel sind nun fein säuberlich nachgezeichnet und damit hervorgehoben. Die Struktur ist deutlich geworden und überstrahlt die Fläche. Zumindest die der zuoberst liegenden Blätter. Darunter verlaufen sich Konturen weiterhin sehr schnell in der ungeheuren Vielzahl.
Aber nicht nur die Details werden betont und treten hervor. Der Wald, als eine ununterscheidbare Ansammlung von Bäumen, die ineinander übergehen, sich in der endlosen Menge verlieren, hat Gestalt bekommen. Denn jeder Wipfel wird vom Rauhreif nachgezeichnet, ob breit ausladend, oder schlank und spitz. Jeder Baum erhält sein eigenes Gesicht - große, mächtige aber auch die kleinen, die es gerade bis in die Kronenregion geschafft haben. Flauschig anmutende, wie Kiefern oder Douglasien, aber auch die spröden, besenartigen weil kahlen Laubbäume. Alle erhielten mit dem Reif ihren eigenen Raum, ihre eigene Tiefe, ihr ganz spezielles Aussehen, ihren ihnen zustehenden Platz unter vielen anderen. Aus einer Masse, die nur in ihrer Gesamtheit wahrgenommen wird, ist eine Gruppe von Individuen geworden, die sie immer waren und bleiben werden. Doch die menschliche Ignoranz macht aus Buchen, Fichten, Eschen, Kiefern, Ahornen, Tannen, Kirschen einfach Wald. Und was bedeutet schon Buchen, unterscheidet sich doch jeder Baum vom anderen. Menschen legen so viel Wert darauf als einzelnes Individuum wahr- und ernstgenommen zu werden und pauschalieren doch so schnell anderes Leben. Ob mehrhundertjährige Bäume unsere aufgeregten Leben verstehen würden?

Samstag, Dezember 11, 2004

Ein Dach aus Erde

Nur ein paar Meter neben einem Pfad, obwohl das keine Rolle spielt, wohl mehr, daß sie am Rande des Bestandes gestanden ist und wohl auch, daß sie mit etwa dreißig Zentimeter Durchmesser nicht sonderlich stark war, was ja nicht bedeutet, daß ihre Zweige nicht trotzdem bis ins Kronendach gereicht haben. Diese Rotbuche ist umgestürzt. Der Wind hat ihr wohl so zugesetzt, daß ihre Kräfte einfach nicht mehr reichten. Sie hat vielleicht aufgegeben, denn nachdem sie durch den angrenzenden Kahlschlag plötzlich am Bestandesrand gestanden ist, war ihr Leben nicht mehr dasselbe. Sie war nun die erste, die alles abbekam, jeden Wind, jeden Regen, jeden Hagel. Und alles vorallem viel direkter - das intensive, austrocknende Sonnenlicht, die beißenden Fröste, die böigen Winde. Kein schützender Bestand mehr, der die Winter milderte, die Sommer feuchter und kühler hielt und die Stürme dämpfte.
Und nun ist es vorbei. Doch mit ihrem Fallen hat sie die sie umgebende Erde aufgerissen. Ein großer, zweieinhalb bis drei Meter großer Wurzelteller ragt nun schräg in die Höhe. Im dichten, etwa einen Meter hohen Buchenjungwuchs klafft nun ein Loch aus Erde, Steinen, Wurzelsträngen. Die Ränder des Wurzeltellers sind schon etwas abgesunken und hängen über, verstärken damit aber den beschützenden Charakter dieses von der Natur geschaffenen Unterstandes. Hockt man in der Mulde und blickt in den Wald, ist hinter und über einem der Erdwall und die verbleibenden offenen Seiten werden durch den schon erwähnten Jungwuchs abgedeckt. Eine kleine geschützte Insel. Und die Haare ich dort vorfinde und die ersten Anzeichen eines noch kaum sichtbaren Wildwechsels, der durch die jungen Buchenruten in die Mulde führt, zeigen, daß ich nicht der erste bin, dem dies auffällt. Ich vermute, daß es ein Wildschwein war, denn die dunkelbraunen Haare und der erdige Untergrund sprechen gegen ein Reh. Wahrscheinlich war es daher eher die Nahrungssuche, die das Wildschwein in die Mulde geführt hat, aber die nun frostigen Nächte waren darin sicher angenehmer auszuhalten. Zumindest konnte man einige Zeit darin verschnaufen und vielleicht gleich den einen oder anderen Wurm finden.

Freitag, Dezember 10, 2004

Totem

Auch wenn ich es aus einer falsch verstandenen Tradition heraus, die allen Greifvögeln und Raubtieren einen höheren Stellenwert beimißt, gerne anders gehabt hätte, mein Totemtier muß wohl das Reh sein. Als Kind wählte ich unwissend den Falken und als Wolfsfan wäre natürlich dieses Tier sehr willkommen, man denke nur an "Der mit dem Wolf tanzt", das zeigt von Größe. So ist mir aufgefallen, daß heutzutage in indianerfreundlichen Kreisen auch diese Einfältigkeit der Namensgebung vorherrscht - Wolfsfrau, Wolfmann, Wolfkämpfer... Doch ein Totemtier wählt man nicht, man sucht es sich nicht aus. Die Verbindung ist gegeben und man kann sie nur akzeptieren oder eben nicht - was aber nichts daran ändert.
Warum komme ich darauf?
Den aktuelle Anlaß bilden zwei Filme:
Michael Moores "Fahrenheit 9/11" und
Jurij Kchashtschevatskij "Gefangen im Kaukasus".
In Moors Film wird kurz die öffentliche Enthauptung eines Saudis gezeigt. Der Scharfrichter nähert sich dem am Boden auf einem weiten Platz knieenden, die Hände am Rücken gefesselten Verurteilten, mit einem Schwert und braucht zwei Hiebe, bis der Kopf herunterfällt...
In Kchashtschevatskijs Film wird beinahe, er blendet die eigentliche Tat im allerletzten (!!!) Moment schwarz aus, die Tonspur läuft aber normal weiter, das schreckliche Umbringen von gefangenen Soldaten durch Durchschneiden des Halses mit einem Messer gezeigt. Die Tat bleibt hör- und damit erlebbar.
Alleine beim Beschreiben dieser Szenen wird mir schlecht.
Diese Szenen haben mich tief entsetzt - horrified (!!!)
Es geht um das brutale Töten von Menschen aber jeder Tötungsakt ruft äußerst unangenehme Gefühle in mir wach (das sind auch meine Alptraumthemen...)
Aber auch Szenen aus Tierdokumentationen, in denen zum Beispiel Wölfe einen Elch reißen, oder Löwen einen Büffel und schon, am noch lenenden Tier, zu fressen beginnen, oder diese unvergeßliche Szene in der ein Grizzly einen Hirsch durch einen Fluß verfolgt und der Hirsch, obwohl er etwas Vorsprung hat, am gegenüberliegenden Ufer seine Flucht nicht fortsetzt, sondern sich dem Grizzly stell und dieser ihn mit seiner Kraft und seinem Gewicht am Geweih zu Boden drückt und seinen Kopf verdreht, bis der Hirsch erstickt (?) oder seine Wirbelsäule bricht (?)...
Ich war selbst einmal, in meiner Zeit als Förster, mit einem geliehenen Gewehr auf Jagd und es zeigte sich auch ein Reh, aber wie schon bei allen vorangegangenen Beobachtungen, hatte ich nie das Bedürfnis oder den Wunsch, dieses Lebewesen auch zu töten.
Töten ist nicht meine Sache.
Doch Töten gehört zumindest bei den "Beutegreifern" zum Alltag, ist überlebensnotwendig. Und dieses Töten bestimmt auch das Leben dieser Tiere, aber auch deren Bewußtsein. Natürlich unterscheidet es sich in einer gewissen Weise vom menschlichen Töten in einem Krieg, doch die Basis ist gleich. Das entscheidende ist wohl der Umstand, daß dieses Leben nehmen für Wolf, Adler, Bär oder Mensch, ein besonderes Ereignis sein muß, daß seine Spuren im Geist (in der Seele) hinterläßt.
Wie war die schöne Definition von Seele - "Die Seele ist keine Funktion des Gehirns, sie speichert Erlebnisse im Körper". Dieses gespeicherte Erlebte wirkt sich natürlich auf die zukünftigen Handlungen aus, wirkt sich auf die Art und Weise wie man die Welt sieht und vorallem erlebt aus, beeinflußt unsere eigene Sichtweise, aber auch wie wir gesehen werden.
Und da schließt sich der Kreis - das Reh, das immer potenziell gefressen, also getötet werden kann, das aufpassen und vorsichtig sein muß, immer fluchtbereit oder zumindest aufmerksam, führt ein anderes Leben, als der gerne zitierte Wolf. Und betrachte ich meine Sicht der Welt, finde ich eine gewisse Vorsicht durchaus angebracht, empfinde ich kein Vergnügen oder keine Genugtuung in, heute natürlich rein verbalen Auseinandersetzungen, den anderen besiegt (mundtot gemacht) zu haben. Denke ich zurück an meine Schulzeit, waren auch nie Glücksgefühle vorhanden, wenn ich aus Raufereien als Sieger hervorgegangen bin, wie wohl Angriff nie meine beste Verteidigung gewesen ist.
Das Reh erlebt seine Umwelt fundamental anders, als sein Jäger - ob Wolf, Luchs oder Mensch. Es ist kein von ständiger Furcht gepeinigtes Leben und die Angst sitzt nicht ständig im Nacken. Freude, Stärke und Zufriedenheit spielen eine wesentliche Rolle (im Gegensatz dazu ist das Töten müssen auch eine Belastung). Und ohne darauf jetzt näher eingehen zu wollen, fühle ich eine Vertrautheit der Sichtweise. Belassen wir es dabei, um nicht zu abschreckend zu wirken.
Doch drückt sich in unserer gewalttätigen Zeit (ich denke nur an den vielgepriesenen Killerinstinct von Managern) in der Vorliebe für Raubtiere, die in den letzten Jahren durch eine noch größere Vorliebe für gefühls- und seelenlose Maschinen abgelöst wurde, eine Wertigkeit aus, die Aggresion, Kampf und Gewalt und damit dem Herrschen und vorallem Beherrschen einen übergroßen Stellenwert gibt. So wird auch Darwins "survival of the fittest" als Rechtfertigung für alle möglichen Gewaltanwendungen mißbraucht (so kennt auch kaum jemand Kropotkin, der etwa zeitgleich mit Darwin zu ganz anderen Schlüssen gekommen ist und mit seinem "mutual aid" doch viel besser die natürliche Basis beschreibt).
Doch zurück zum Töten.
Das Auslöschen eines Lebens erfordert gerade für den Menschen eine ihn unterstützende Kultur, die den richtigen Umgang mit diesem Erlebnis ermöglicht. Alte Kulturen haben bestimmte Zeremonien die ein Jäger durchführen muß, um das getötete Tier zu ehren, beziehungsweise unterstreicht die Zeremonie die Außergewöhnlichkeit der Tat, durch zum Beispiel bestimmte, auszuführende Reinigungsrituale. So etwas gibt es auch für kriegerische Handlungen.
Doch war die Laufbahn als Krieger oder Jäger nicht für jeden vorgegeben und alternative Lebenswege deswegen nicht weniger angesehen.
Das drückt sich auch in alten indianischen Namen aus - waren mir früher Namen wie Sitting Bull oder Lame Deer nicht wirklich verständlich, so habe ich erkannt, daß gerade diese Namen die Mannigfaltigkeit der Natur, in der das Töten vorkommt, aber eben nur als ein Teilbereich, viel, viel besser spiegeln und die geistige Ausrichtung (eines Volkes) erkennen lassen.

Donnerstag, Dezember 09, 2004

Rund um den See

Wäre ich leicht wie ein Entenküken, hätte ich über den See gehen können. Die Temperaturen haben ausgereicht, um eine dünne Eisdecke entstehen zu lassen. Noch zerbricht sie leicht und der Wind hat ausgereicht, um sie an zwei Stellen aufzubrechen. Die kleinen Eisschollen hat er ans Ufer getrieben und dort bilden sie nun richtige kleine Eisstöße. Weiße Eisbewehrungen des Ufers, die den Wasservögeln das an Land gehen unangenehm machen. So haben sich Stockenten und Bläßhühner in größeren Gruppen an den sonnenbeschienenen Stellen zusammengefunden. Dort hat die Wärme das Eis schmelzen lassen und so ist nicht nur die Wasserfläche sondern auch das Ufer eisfrei. Manche grundeln kopfüber, andere sind am Ufer und nehmen, auf einem Bein stehend, ein Sonnenbad, andere treiben ruhig am Wasser.
Es ist beschaulich und doch verwunderlich, wie diesen Wasservögeln die Kälte nichts anzuhaben scheint. Außerdem verlieren sie mit dem Zufrieren des Sees jedes Jahr fast ihren ganzen Lebensraum, und trotzdem schaffen sie es durch die, für sie schwierige Jahreszeit, ins nächste Frühjahr. Gerade die Zuflüsse bleiben eisfrei, doch ist dort das Wasser so seicht, daß es keinen ausreichenden Schutz vor Feinden bietet.
Der See ist zum Glück für die Tierwelt als Trinkwasserreservoir vorgesehen. So ist er für jede menschliche Freizeitnutzung gesperrt. Keine Boote und Schwimmer im Sommer, keine Eissegler und Schlittschuhläufer im Winter. Es führt eine Straße rundherum, doch von den Radfahrern, Wanderern und Skatern geht keine Gefahr und auch kaum eine Beunruhigung aus. Zur Freude die Angler wurde der See künstlich mit großen Fischen besetzt, denn was die Natur zu bieten hatte, war wohl nicht gut genug. So greift der Mensch immer wieder leichtfertig in Systeme ein, ohne sich der Folgen bewußt zu sein. Die gegebene Tierwelt hatte wenig Freude mit den künstlich eingebrachten. Für Reiher und Haubentaucher waren die Fische als Nahrungsquelle zu groß, die vorhandenen Fische wurden von der übermächtigen Konkurrenz verdrängt und für den See waren es bei dem warmen, regenarmen Sommer dann auch zu viele, denn einige der besetzten Fische sind schlichtweg erstickt - zu wenig Sauerstoff im warmen Wasser. Dann trieben die Leichen an der Wasseroberfläche, oder wurden ans Ufer geschwemmt. Nicht einmal die Krähen erfreuten sich an ihnen.
Doch nun herrscht wieder Ruhe. Die Enten und Bläßhühner schwimmen in größeren Gruppen, meist friedlich, denn die Revierstreitigkeiten sind vergessen und die Suche nach Nahrung gestaltet sich wohl für alle als schwierig. Das ganze Jahr draußen, das ganze Jahr am, oder in der Nähe des Wassers, das ganze Jahr von diesem doch recht kleinen Lebensbereich abhängig und doch reicht es aus, um das ganze Jahr leben zu können.

Mittwoch, Dezember 08, 2004

Fotografie

Es gibt interessante Landschaften, da entdeckt man ein Bildmotiv nach dem anderen und dann gibt es die spröden Gegenden, die sich verschlossen halten. Da wird man erst fündig, wenn man sich intensiv und vorallem lange mit ihnen auseinandergesetzt hat. Und selbst dann, ist die fotografische Ausbeute meist gering. Die fotogenen Landschaften darf man nicht mit den vordergründig spektakulären verwechseln, denn bei aller Großartigkeit, sind oft auch diese, auf den ersten Blick so beeindruckenden Landschaften, schwer mit einem Fotoapparat zu fassen und verlangen genauso wie die wenig fotogenen nach einer intensiven Auseinandersetzung.
Der Grand Canyon ist so eine Landschaft - sehr spektakulär, aber reduziert auf ein Foto meist eindimensional, nichtssagend und damit ernüchternd. Andererseits wohne ich in einer Gegend, die absolut unspektakulär ist, dem Wienerwald. Und das verbindet ihn jetzt mit dem Grand Canyon, er ist ebenfalls schwer fotografisch darzustellen. Wie erfasst man Wald? Viele, viele Bäume? Nichtssagend, unbestimmt. Als Hintergrund, ja, vielleicht, aber wo bleibt das Motiv, der Ansporn sich das Bild anzusehen? Dann vielleicht ein einzelner, charaktervoller Baum? Der ist wieder kein Wald.
Außerdem ist es in einem Wald unter dem abschirmenden Blätterdach sehr dunkel. Ohne Stativ scheitern unzählige Aufnahmen an zu kleiner Blende, zu geringer Lichtempfindlichkeit, oder einfach an der viel zu langen Verschlußzeit.
Dabei gibt es so viel zu sehen und zu beobachten - die wechselnden, Wetter und tageszeitlich bedingten Lichtverhältnisse, die andauernden Veränderungen dieses Lebensraumes durch Wachsen, Zusammenbrechen und Neuentstehen, der Wechsel der Jahreszeiten, das erste Grün im Frühjahr, das tagelange Grau im Herbst, die kahlen Bäume im Winter, nicht zu vergessen die Bewohner des Waldes. Das alles gilt es festzuhalten, in ein Foto zu übersetzen und meist gelingt es nur, wenn man indirekt vorgeht. Schärfe, Perspektive und Belichtungszeit helfen, um auf einem Foto, den unnachahmlichen Eindruck den das menschliche Auge gewinnt, wiederzugeben oder zumindest nachzubilden.
Doch was sind schon gute Fotos. Ich wurde einmal gefragt: "Warum hast du das fotografiert?" Eine gute Frage, doch will ich darauf keine Antwort geben, denn mein Grundsatz lautet: "Entweder spricht das Foto den Betrachter an, dann stellt sich diese Frage nicht, oder eben das Foto spricht den Betrachter nicht an, dann hilft auch meine Erklärung nichts".
Eines meiner Lieblingsfotos, ein Ton in Ton gehaltenes Bild einer im seichten, ruhigen Wasser eines Sees stehende Forelle, deren Schatten seitlich neben ihr am schlammigen Seegrund zu sehen ist, hat zu meiner großen Verwunderung und auch Enttäuschung, bei den Betrachtern kaum Reaktionen hervorgerufen. Aber es zeigt nur, daß eben jeder Mensch anders sieht, anders betrachtet und anders wahrnimmt.
Darum werde ich in meiner Fotografie trotzdem die "farblosen" Farbfotos weiterverfolgen. Weder die Schwarz/Weiß-Fotografie, noch die intensive "Bunt"-Fotografie entsprechen meiner Ausdrucksweise. Möglichst wenige Farben, dafür in vielen Abstufungen die das Motiv betonen und wirken lassen, ohne selbst bildwirksam in Erscheinung zu treten, das Bild aber trotzdem nicht durch eine Reduktion auf bloße Grauschattierungen zu abstrahieren, wie es in der Schwarz/Weiß-Fotografie erfolgt.

Dienstag, Dezember 07, 2004

Der Geruch des Holzes

Nun sind die großen Maschinen mit ihren dröhnenden Motoren und kreischenden Sägen wieder aus dem Wald verschwunden. Erntemaschinen nennen sich diese Ungetüme, die mit ihren riesigen, kettenbewehrten Rädern die Erde aufgerissen und narbenhafte Spuren zwischen den noch stehenden Bäumen hinterlassen haben. Ruhe ist wieder eingekehrt, vorerst zumindest, denn andere Maschinen werden kommen, um die zu kleinen Stapeln zusammengelegten Bloche aus dem Wald zu transportieren. Doch im Moment ist es still und wir wagen uns wieder in diesen, jetzt deutlich lichter gewordenen Waldteil. Fein säuberlich liegen die Bäume nun da, bereits entastet, in immer gleiche, vier Meter lange Stücke zersägt und nach Baumarten getrennt. Von den stachelbesetzten Transportwalzen sind die Rinden aufgerissen, aus lebenden Bäumen sind tote Holzstücke geworden.
Doch ihnen entströmt jetzt ein eigener Geruch der über dem ganzen Areal hängt. Jede Baumart riecht anders und über dem Gelände vermischen sie sich, ergeben gemeinsam einen Duft, der, wäre man blind, trotzdem sofort das frisch geschlagene Holz erkennen ließe.
Ich gehe zu den einzelnen Stapeln, um den Geruch des Holzes jeder Baumart gesondert aufzunehmen. Der würzige, nach Harz riechende Duft der Kiefer kommt einem schon auf einige Meter entgegen, auch der überwiegend herbe, von den vielen Gerbstoffen ausgehende Geruch der Eichen ist leicht zu fassen und zuzuordnen. Bei den Rotbuchen ist der Geruch auch charakteristisch, nur die Beschreibung wird da wesentlich schwieriger. Er hat sogar einen leicht süßen Ton, doch schwingt der nur mit, auf einer frisch-säuerlichen aber angenehmen zu riechenden Basis. Fichten zeigen auch geruchlich die Verwandtschaft als Nadelbäume zu den Kiefern, nur sind sie längst nicht so intensiv und herb-würzig wie diese. Zu den dezent riechenden Erlen muß man sich schon niederbücken um an den Schnittflächen zu schnuppern und der charakteristische Geruch der Hainbuchen ist, hat man ihn einmal zugeordnet, leicht wiederzuerkennen.
Auf der bearbeiteten Fläche waren auch einige Zypressen gefällt worden, doch hat mich die relative Geruchlosigkeit des Holzes, im Vergleich zu den äußerst intensiv duftenden, immergrünen Zweigen verwundert.
Das Holz jeder Baumart ist am Geruch zu unterscheiden und stehe ich im Wald und rieche diese besonderen Düfte, finde ich es schade, daß ich sie nicht einfangen und konservieren kann - nicht einmal verbal, zeigt sich doch eine erstaunliche Unfähigkeit Gerüche direkt beschreiben zu können. Nur über den Umweg des Vergleichs schaffen wir eine Annäherung. Das direkte Erleben des Geruchs ist damit aber nur schwer zu beschreiben, vermittelt uns doch unser Geruchssinn, bei allen Einschränkungen, eine viel feinere, komplexere Wahrnehmung. Man muß sich nur darauf einlassen.

Montag, Dezember 06, 2004

Vorweihnachtszeit

Noch gehen die Tage in gedrängter Beständigkeit dahin. Doch Unterscheidungen und Grenzen die wir ziehen verlieren ihre Schärfe und eine neue Wichtigkeit kommt uns in den Sinn. Die Stunden fließen stetig ineinander und fallen manchmal übereinander her. Ereignisse werden unstet und Vorhaben geht die Absichtlichkeit verloren. Ein unbestimmtes Sehnen macht sich breit, ereifert sich in zielloser Geschäftigkeit denn Ruhe will erledigt werden. Die Stille ist wohl dort, wo wir nicht sind, wo wir nicht zu sein vermögen. Der Körper wünscht, was ihm der Geist nicht gönnen mag und doch ist geben die Devise. Friede klingt zu schön und wird darum nicht ernst genommen. Und Schönheit ist zum Schein verkommen. Doch der Erlöser wird erwartet und soll noch kommen - hoffentlich nicht gar zu bald. Am Ende steht ein Fest, doch noch ist Zeit, um zu verweilen vor der unabänderlichen Einsamkeit. In Punsch und Glühwein liegt die Wärme und wir tauschen sie auf Märkten ein. Wohl auf den Markt geworfen ist unsere Glückseligkeit, doch mit der Zeit vergeht der Schauer und unsere Freude wäre groß, wär alles längst vorbei.

Sonntag, Dezember 05, 2004

2. Advent

Markt und Straßen stehn verlassen
still erleuchtet jedes Haus
sinnend geh ich durch die Gassen
alles sieht so festlich aus.

Tut es das, schauen die immer greller und bunter werdenden Weihnachtsbeleuchtungen wirklich festlich aus? Jeder Zaum, jeder Balkon, ja jeder Strauch und sogar ganze Bäume und Häuser erstrahlen im künstlichen Licht. Weihnachtsmänner klettern unzählige Fassade hinauf, von innen erleuchtete Plastikschneemänner stehen in Vorgärten und beleuchtet Rentierschlitten ziehen über manches Garagendach. Noch sind die meisten Leuchten einfach weiß, doch bunte Lichtspiele drängen nach und zusätzlich beginnt es an immer mehr Orten zu blinken und zu flackern, verläuft in Spiralen, erstrahlt und verebbt.
Und das alles zusätzlich zur normalen Straßenbeleuchtung und im ständigen Kampf mit den bewegungsmeldergesteuerten Einfahrts- und Gartentorleuchten, den erhellten Zufahrten und Gehwegen, den unverhangenen Fenstern und Glastüren.

Samstag, Dezember 04, 2004

Zahlen, Daten, Fakten

Laut neuestem Living Planet Report des WWF, hat sich die Anzahl aller Wirbeltiere in den 30 Jahren von 1970 bis 2000 um 40% verringert. 40%, also zwei von fünf Tieren sind verschwunden. Denke ich an meine Hunde haltenden Bekannten, wüßte ich nicht, welche zwei Hunde zur "Auslöschung" auszuwählen wären (an den eigenen darf ich schon gar nicht denken). Gleichzeitig erhöhte sich die Weltbevölkerung von knapp unter vier Milliarden auf über sechs Milliarden Menschen, hat also um über 50 % zugenommen. Lebten also in einem Mietshaus 1970 zwanzig Menschen, leben in dem selben Mietshaus heute dreißig, oder fuhren 1970 vier Personen in einem Auto, drängen sich heute sechs darin.

Die brasilianische Regierung gibt an, daß etwa 2,3 bis 2,4 Millionen Hektar Amazonasurwald alleine im letzten Jahr gerodet und damit zerstört wurden (Greenpeace schätzt sogar an die 3 Millionen). Vergleiche ich die österreichischen Verhältnisse damit und Österreich ist ein waldreiches Land, da es fast zur Hälfte bewaldet ist (47 %), wäre in nur etwas über eineinhalb Jahren der gesamte Wald (3,9 Mio ha) verschwunden.

Ich bemühe mich umweltbewußt zu leben, doch lasse ich meinen "Global Footprint" berechnen, bräuchte die Menschheit, wenn alle so lebten wie ich, zumindest zweieinhalb Erden. Den Planeten den wir haben, dann noch einen und, weil das noch immer nicht reicht, noch einen halben. Dabei liege ich etwas unter dem österreichischen Schnitt und der liegt, vergleicht man westeuropäische Staaten, schon eher am unteren Ende. Und von den abartigen Werten, die man für US-Bürger errechnet, will ich hier gar nicht schreiben.
Mir geht es gut und ich denke, daß ich alles und mehr habe, was man zum Leben braucht. Doch betrachte ich die Müllsäcke, in denen alleine der Plastikmüll gesammelt wird, die jedes Monat anfallen, bin ich still entsetzt und ratlos über meinen Lebenswandel. Dabei versuche ich anders, bewußter zu leben, auf Konsum zu verzichten (wobei ohnedies das wenigste ein Verzicht ist) und gehe manch einer Person in meinem Umfeld damit auf die Nerven, oder ernte blankes Unverständnis ("soll ich dich im Auto mitnehmen?" "nein danke, ich gehe lieber zu Fuß" "???"). Doch schon die zugrunde liegende Basis ist zu viel. Das Haus, das Auto, der Computer, das Handy - die Lebensmittel, die Kleidung - der Strom, das Licht, die Wärme, die Mobilität. Für mich selbstverständlich und leider nur möglich, weil andere, ob Menschen in der Dritten Welt, ob Tiere in Massenstallungen, oder ganze Ökosysteme weltweit dafür ausgebeutet oder sogar vernichtet werden.
Was soll man mit einer Gesellschaft, die Konsum und zwar immer zunehmenden Konsum als Basis alles Tun sieht? Wie in ihr leben und sie doch verändern? Wo die Grenze ziehen und eigene Bequemlichkeiten aufgeben, worauf verzichten, was unterstützen?

Freitag, Dezember 03, 2004

Sus scrofa primae

Für ein paar kurze Momente, einige rasende Sprünge lang, wie ein Torpedo, zumindest wie ich mir ein Torpedo vorstelle, rasch, doch nicht zu schnell, elegant, aber nicht grazil, mit Körper, doch nicht plump und dennoch mit großer Kraft und Wucht. Aus dem Jungwuchs kam es, keine zehn Meter von mir entfernt, aufgeschreckt von meinem Hund (das erste Mal, daß mir mein Hund eine Sichtung ermöglichte, denn normalerweise ist es ja umgekehrt). Und ich war schon viele Stunden meines Lebens im Wald, doch es war heute das aller erste Mal, daß ich eines in freier Wildbahn gesehen habe. Im Tierpark, im Gehege, ja, da schon öfters, auch tot und ausgenommen beim Fleichhauer, selbst als Bettvorleger, natürlich auch tot. Aber in freier Wildbahn? Noch nie.
Nur Sekunden, in denen ich nicht viel erkennen konnte. Und was schon, fehlt mir doch jeder Vergleich und damit jede Erfahrung. War es groß? Nicht wirklich, dazu war es alleine, also denke ich mir, daß es ein Jährling, ein sogenannter Überläufer war. Hauer, also die vorstehenden unteren Eckzähne sind mir nicht aufgefallen, also tippe ich auf eine Bache, das heißt ein weibliches Stück. Dunkles, dunkelbraunes Fell, fast schwarz, nicht umsonst nennt man es Schwarzwild, mit den kräftigen Borsten, die es so struppig aussehen lassen. Dieser großen Kopf und dennoch wohlproportioniert und kompakt, meilenweit von seinen verunstalteten und überzüchteten domestizierten Verwandten entfernt. Dieses bewegte sich behende, doch sichtlich in Panik, ein gewagter Sprung über die Böschung und nach zwei, drei weiteren Sätzen war es im Wald schon wieder verschwunden.
Es ging alles sehr rasch und erst hinterher war ich froh, nicht in seinem oder ihrem Weg gestanden zu haben. Ich wäre zu langsam gewesen, um auszuweichen und einen Zusammenstoß möchte ich nie erleben.
Das war's, meine erste Wildschweinsichtung.

Donnerstag, Dezember 02, 2004

Wildnisgebiet

Es ist für mich wunderbar, daß es nun auch in meiner Heimat ein Gebiet gibt, in dem der Natur wieder erlaubt wird, sie selbst zu sein. Es freut mich so sehr, da ich solch einen Zugang in Österreich im Moment für ausgeschlossen gehalten habe. Die Vorstellung und Umsetzung dieser Idee schien mir zwar sehr wünschenswert, aber bei den gegebenen politischen, rechtlichen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen als zu verwegen.
Wildnisgebiete waren für mich immer "nordamerikanische" Kostbarkeiten. Ein Ausdruck der noch zu findenden natürlichen Unberührtheit dieses Kontinents, wo Prozesse ablaufen dürfen, in die sonst überall eingegriffen wird. Kostbarer als Nationalparks, die aufgrund der Entwicklungen doch mehr dem Vergnügen des Menschen dienen. Dafür auch unscheinbarer, fast unbemerkt, wollen sie ja gar nicht zu viel Aufmerksamkeit, um eben nicht zu viele Menschen anzulocken.
Das ist dann auch der bittere Beigeschmack, der sich in meine Freude mischt. Ich würde gerne jeden Tag in so einem Gebiet herumstreifen, die Eindrücke müssen so ganz anders sein, als auf meinen täglichen Gängen im wirtschaftlich intensiv genutzten Wienerwald, der teilweise ja zu einem bloßen Holzacker verkommen ist. Obwohl, auch hier lassen sich Flecken finden, die zumindest eine Zeit lang, von den, zum Glück nur mehr in großen Maßstäben agierenden Förstern, unentdeckt bleiben, und ein hochinteressantes Eigenleben entwickeln können.
Doch es gibt zu viele von uns Menschen und zu wenig an Wildnisgebieten um eine tragbare Vermischung zu ermöglichen. So heißt die schwere Aufgabe auch "fort bleiben, meiden" um anderen Lebewesen Möglichkeiten zu ihrer Entfaltung zu geben. Und ihre, von den unsrigen so entgegengesetzten Lebensentwürfe, sollen wieder freie Bahn bekommen und dieses Land bereichern.
Mir ist bewußt, daß es nur ein kleiner, erster Schritt ist. Das Wildnisgebiet umfaßt etwa 2.480 ha. Das klingt vielleicht viel, doch stelle ich es in Relation zum größten österreichischen Nationalpark Hohe Tauern, mit etwa 180.000 ha, wird die Fläche schon bescheidener. Bedenkt man, daß die nordamerikanischen Nationalparks wie Yellowstone, mit fast 900.000 ha, oder Banff mit immer noch über 660.000 ha um ein vielfaches größer sind, schrumpft die Wildnisfläche Dürrenstein mehr und mehr zusammen. Nur zur Verdeutlichung: 24 qkm hier, 9.000 qkm dort.
Da wird verständlich, daß große Tiere in dem relativ kleinen Gebiet keinesfalls ihr Auslangen finden, um ungestört leben, interagieren und sich entwickeln zu können und eine darüber hinausgehende Unterschutzstellung nötig ist.
Wie gesagt, ein erster Schritt, aber ein wertvoller erster Schritt!

Mittwoch, Dezember 01, 2004

Ein langer Spaziergang

Hochnebel. Noch ist es hell. Ein Rauhhaardackel begleitet uns heute, als Gasthund. Ihn muß ich an die Leine nehmen, denn ich weiß, daß er mir nicht ausreichend gehorcht. Zumindest an eine Laufleine, trotzdem ist es sehr ungewohnt für mich, ständig einen Hund an der Leine zu führen. Obwohl es mich stört und ablenkt, finde ich die richtigen "inneren Schwingungen" um in den Wald eintauchen zu können.
Dazu sollte ich etwas erklären.
Eine Landschaft, eine Gegend, ein Stück Natur - keine von Menschen geschaffene Einheiten, keine willkürlichen Grenzziehungen - sondern jedes natürliche System, wie ein zusammenhängendes Waldgebiet, ein See mit seinen Schilfufern oder ein Bergplateau mit seinen Abbrüchen und Felswänden, zeichnen sich durch eine bestimmte Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren, der eigenen Bodenbeschaffenheit, dem speziellen Wetter, der gemeinsamen Vergangenheit mit ihrer Geschichte, und allen verknüpfenden Beziehungen und Prozessen aus und ergeben, wie so oft, wenn das Ganze mehr ist, als die Summe der Teile, für mich, ich bezeichne es zumindest so, mangels besserer Alternative (und normalerweise lasse ich mich nicht über dieses Thema aus, denn es birgt zu viele Mißverständnisse), als den "Geist" oder die "Geister" einer Landschaft. Und ich bin überzeugt, daß man diese "Geister", ich bevorzuge doch den Plural, spüren kann (natürlich nicht körperlich, niemand tippt mir auf die Schulter, niemand bricht einen Ast für mich - in einer abstrakteren Form), wenn man sich nur dafür öffnet und die nötige Transformation anstrebt. Dafür muß man sich auf diese andere Ebene begeben und sich als integraler Teil des Ganzen begreifen. Weg vom oberflächlichen wahrnehmen, weg vom gezielten suchen und finden wollen und weg vom kenntnisreichen wissen.
Für mich ist es ein "eintauchen", das mir nach all den Jahren trotzdem nur hin und wider gelingt. Es wundert mich nicht, verbringe ich doch die meiste Zeit meines Lebens in einer ganz anderen Umgebung, mit völlig anderen geistigen Voraussetzungen und Herausforderungen und völlig anderen zugrundeliegenden Konzepten.
Wichtig ist mir die Trennung von heute weitverbreiteten esoterischen Modeströmungen, die mir eine Beliebigkeit vermitteln, die ich einfach nicht nachvollziehen kann. "Heute hole ich mir etwas TCM, morgen ein bißchen Schamanismus, dannn eine Prise tibetische Orakelkunst, eine Schwitzhütte wäre toll und der Blick in die Sterne kann ja nicht schaden". Das ist nicht meine Welt, und vielleicht führe ich mit meinem Begriff "Geister" die Leute aber auch nur auf falsche Pfade.
Mir hat meine buddhistische Lektüre geholfen, nur glaube ich nicht, daß mit Erleuchtung mein Weg, mein Zugang gemeint ist, (Erleuchtung geht für mich auf der persönlichen Ebene viel weiter und ist sicher wert angestrebt zu werden, doch löst sich der Mensch damit auch von der Natur und ich will mich nicht lösen, sondern in ihr aufgehen - da gibt es in einer japanischen Geschichte das schöne Bild, daß ein müder Wanderer unter einem blühenden Kirschbaum einschläft, und die herabfallenden Blütenblätter bedecken den Mann, bis er ganz zugedeckt ist und mit dem optischen Entschwinden, verschwindet auch der Leib und am Ende gibt es nur mehr ein Meer aus Blütenblättern - der Mann ist weg, aufgegangen in den Blüten, verschwunden, gestorben?).
Doch am besten ausgedrückt fand ich meinen Zugang (Gefühle die ich seit meiner Kindheit kultiviere) in diversen Büchern die indianisches Gedankengut betrafen (darum auch mein Hang zu Indianern - obwohl ich mich oft frage, ob das, was ich für mich erfahre, wirklich etwas mit diesem "indianischen Geist" zu tun hat - ich glaube, nicht wirklich, aber mir hilft es). Das von einem zeitgenössischen Indianer geschriebene Buch "Rainbow Tribe" war übrigens äußert abschreckend, weniger wegen seinen Überlegungen, als viel mehr wegen seinen konkreten Handlungen. Aber das führt zu weit vom Thema weg.
Noch etwas, Kenntnis der Natur hilft bis zu einem gewissen Grad, doch danach ist sie eher hinderlich.

In den vergangenen Tagen war ich unruhig und unrund, denn, obwohl ich draußen war und mich auf die Ebene meiner "Geister" begeben wollte, blieb ich fremd im Wald, sah zwar Bäume, Sträucher, Kräuter, hörte die Vögel und den Wind, spürte den Nebel und die Kälte, aber immer als etwas Anderes, etwas Fremdes und Distanziertes. Gelegentlich, für kurze Momente war es zwar da, verschwand aber meist gleich wieder. Gestern begann es sich zu verschieben, worüber ich schon glücklich war und heute, ja heute war es wieder da, dieses Gefühl, dieser Zustand.
Die Zeilen bisher, waren eigentlich nur die Einleitung, um zu erklären was ich meine, wenn ich schreibe, daß sich mir heute wieder "meine Geister" gezeigt haben. Es war wunderschön, erhaben und spektakulär. Jetzt müßte ich, wenn ich schon alles erkläre, auch meine Gedanken zu "Schönheit" darlegen, aber belassen wir es dabei, daß schön für mich ein bedeutsamerer, umfassenderer Ausdruck ist.
Wir gingen auf einer Forststraße dahin, die von mir vorgezogenen Wege sind zur Zeit alle sehr weich und matschig, als der Wald, als die Erde zu erstrahlen begann. Es wurde heller, von unten, als ob das Licht aus dem Boden drängte und trotz des Lichtes sah man nirgends einen Schatten. Ein weiches, warmes leicht rottöniges Licht. Dann ebbte es wieder ab, die stumpfen Herbstfarben und die graue Hochnebeldecke hatten uns wieder.
Später, auf der Leiter eines Hochstandes sitzend, beobachtete ich mit Erstaunen, daß die Rotbuchen nicht nur ein rotes, nun bodenbedeckendes Herbstlaub und vorallem kahle rote Zweige haben (wegen diesen rötlichen Zweigen haben die bewaldeten Hügel des Wienerwaldes im Winter auch einen rot-graubraunen Ton und ich dachte mir bisher immer, daß daher auch der Name Rotbuche komme), nein, verblüfft nahm ich es das erstemal in meinem Leben zur Kenntnis, daß selbst die hellgrauen Stämme, die, wenn sie naß vom Regen sind, sich dunkelgrau bis schwarz verfärben, kurz vor dem Auftrocknen eindeutig rot gefärbt sind. Wo kommt diese Rot her?
Wieder später, am Weg zu einer wiesenbewachsenen Hügelkuppe, riß die graue Hochnebeldecke in Fetzen auf und für kurze Momente gab sie den Blick auf einen intensiv farbigen Sonnenuntergang über einer sich im tiefen, dunklen Blau verlierenden Hügellandschaft frei. Doch irgendwie fing der Wind die Nebelfetzen und schob sie wieder zusammen.
Es zogen wieder dichte Nebelbänke heran und auf der Kuppe angekommen war die umgebende Landschaft im grauen Dunst verschwunden und selbst die kahlen Laubbäume des nahen Waldrandes bildeten nur mehr eine nach oben besenartig ausgefranste dunkle Wand. Diese Abfolge von Bildern, dieser spektakuläre Tanz von Licht und Formen - feuchte, kalte Luft strömte gegen mein Gesicht, doch mein Glück hätte ich hinausschreien wollen.
Der Weg zurück, durch den tief nebelverhangenen, schon wieder abenddämmrigen Wald, führte über vertraute Pfade auch am Douglasiensaum vorbei, deren eigene, so eindeutig nicht Fichte oder Kiefer seiende Wipfelformen sich doch noch gut erkennbar gegen den grauen Nebel abhoben mir wie immer eine spezielle Freude bereiteten. Hier war ich zuhause.